herausgefühlt, daß sich in mein Entsetzen viel Theilnahme über sein Geschick einmischte.
Schließlich war ich wohl nur noch der Einzige, der sich mit der Sache, wenigstens vorübergehend, beschäftigte. Und das kam so. Jahre lang hatte das kleine Staketenzaun-Haus, drin der Mord geschehen war, leer gestanden und die Blumen in dem halb verwilderten Vorgarten blühten für Niemanden. Da, im Sommer 30, als ich bei untergehender Sonne mit meinem Papa vom Seebade zurückkam und bei der Gelegenheit auch den Rathhausplatz und das Staketenzaun-Haus passirte, sah ich mit einem Male, daß die bis dahin geschlossenen grünen Jalousien aufgemacht und die kleinen Fenster des Wohnzimmers geöffnet waren. An einem derselben aber saß ein Gerichts-Aktuarius, ein fideler Herr, den ich sehr gut kannte, und blätterte, während er Tabakswolken in die Luft blies, in einem vor ihm liegenden Aktenbündel. Er saß so, daß er eine gelbe Malvenstaude links und eine rothe rechts hatte. Das Ganze war ein Bild äußersten Behagens. Ich wies darauf hin und sagte zu meinem Vater: „Das ist ja gerade die Stube …“ „Ja, das ist die Stube“ wiederholte er, „mein Geschmack wär’ es auch nicht“. Aber mit dieser kurzen Bemerkung war es abgethan und ich empfand an jenem Tage zum ersten Male,
Theodor Fontane: Meine Kinderjahre. Berlin: F. Fontane & Co., 1894, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Theodor_Fontane_%E2%80%93_Meine_Kinderjahre.djvu/181&oldid=- (Version vom 1.8.2018)