Als Wissenschaft und Kunst, wofern diß grosse Gut
Fält auf ein frommes Hertz. Wo aber stoltzer Muth,
Wo Fürwitz und der Geitz sich bey Gelehrten finden,
Da bleibt das Böse nur, das Gute muß verschwinden.
Wie wäre Müh und Zeit viel besser angewandt,
Wenn mancher weder Buch noch Buchstab hätt erkannt!
Wenn selbst Demosthenes den Stahl hätt angehitzet
Und, wie sein Vater that, beym Schmiedebalg geschwitzet,
Da er zur Schulen gieng: Er hätt ihm selber nicht
Sammt vielen tausenden solch Unglück angericht.
Obgleich der Tullius ist gen Athen gekommen,
Und hat der Zungen Ruhm den Griechen abgenommen;
Welch Vortheil war dabey? Es gieng ihm ebenfalls
Gleichwie des Schmiedes-Sohn. Das Maul zerbrach den Halß.
Wie mancher will der Schrift Geheimniß wohl erwegen,
Vielmehr als andre sehn, die Ketzer widerlegen,
Vertiefet sich sofern, wenn ihn der Fürwitz treibt,
Daß er dem Pabst so viel als einem Luther gläubt,
Dem Zwingel nicht vielmehr, will alle Ding ergründen,
Und je er weiter sucht, je mehr ist nichts zu finden.
Zulezt verwirft ers gar, und bleibt ein Lucian
Der es mit keinem hält, und nichts als zweiffeln kan.
Und wie, wenn gute Lehr und ungeschicktes Leben
Wie leider oft geschicht, einander widerstreben?
Wenn einer auf den Trunck mit grossem Eifer schmäht,
Und selber mehrentheils in vollem Sause geht;
Ermahnet, wie man soll den Zorn und Rache meiden,
Und ist so wunder zart, daß er kein Wort kan leiden;
Spricht wie man stoltzen Sinn und Hoffart fliehen soll,
Und ist bis übers Maul desselben Lasters voll?
Wie reimet sichs für GOtt, verzeih mir, daß ich frage,
Ein Paulus auf dem Stuhl, ein Stocknarr im Gelage?
Wo nicht des Priesters That sich reimet mit der Lehr,
Er schreie Jahren lang; Man glaubt ihm nimmermehr.
Joachim Rachel: Teutsche Satyrische Gedichte. Christian Ludewig Kunst, Berlin 1743, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Teutsche_satyrische_Gedichte_Wolfenbuettel.djvu/65&oldid=- (Version vom 1.8.2018)