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Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/125

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Land reichen bis zu den kleinasiatischen Küstenstädten am Schwarzen Meer.

Es ist leicht erklärlich, daß diese kriegerischen Überlieferungen einen besonderen Reiz darboten für ein politisch geknechtetes Volk, das mit poetischer Phantasie begabt war und in welchem der alte Freiheitsdrang noch immer lebte. Die Geschichte der Ukraine ist mit dem Kosakentum verknüpft und das „Kosatztwo“ war somit lange Zeit der Gipfel und der Hauptgegenstand der ukrainischen Epik.

Schewtschenkos dichterischer Instinkt fand hiefür alsbald den rechten Ton, indem er schon bei seinem ersten öffentlichen Hervortreten die alte Kosakenzeit in der Gestalt des blinden Sängers Perebendja verherrlichte.

„Wer kennt nicht den alten blinden Perebendja? Er hat kein eigenes Heim. Der sonderbare Greis verbringt Tage und Nächte am Zaun der armen Leute und es ist ihm gleichgültig, wie das Mißgeschick mit ihm scherzt. Er singt und spielt auf seiner Kobsa nationale Lieder von Tschalyj,[1] von dem „Turteltäubchen“, von der „Schenkwirtin“, die serbische Tanzmelodie etc. in den Wirtshäusern und bei den Gastmählern; in den Bazaren aber singt er von „Lazarus“ oder wie die Ssitsch ruiniert wurde, Lächeln und Tränen hervorlockend. Gern spielt er aber auch auf Grabhügeln, von gleich dem Meer blauenden Steppen umgeben, und der Wind, der seinen grauen Knebelbart und seine grauen Haarsträhnen bewegt, legt sich und lauscht, wie der Kobsar singt, wie sein Herz lächelt und die blinden Augen weinen. Der Alte hält sich auf dem Grabhügel der Steppe versteckt, damit niemand die Worte erfahre, die der Wind über das Feld verbreitet. Denn es sind göttliche Worte; sein Herz spricht unbefangen mit Gott und

„der Gedanke schwingt sich bis ans Ende der Welt.
Als graubeflügelter Adler fliegt er weit hinter die Wolken,
bis er in großen Kreisen den blauen Himmel berührt“.

Ja, der Kobsar weiß alles; er hört, was das Meer braust, und er erfährt, wo die Sonne übernachtet. Selbst aber wandelt


  1. Ein Saporoger, der an der Seite Stanislaw Leszczynskis gegen den König August II. kämpfte.