Schewtschenko, der Maler, gehört der Kunstgeschichte[1] an. Ohne ihr Gebiet betreten zu wollen, kann ich nicht umhin, Schewtschenko, den mit dem Pinsel schaffenden Künstler, wenigstens zu skizzieren um darzutun, wie der Dichter von dem Maler beeinflußt wurde. Denn Schewtschenko, der die Natur liebte, besaß auch die Fähigkeit, die Natur in Worten zu schildern, und er hatte den scharfen Blick des Künstlers für die Erscheinungen der Natur.
In dieser Hinsicht bot ihm das gesegnete Dnipróland fürwahr eine Fülle der malerischsten Stoffe. Da waren Hügel, Schluchten und Felder, Haine und Flüsse, pittoresk gelegene Dörfer und vor allem die endlosen Steppen, eintönig und unübersehbar, wehmütig und träumend, doch auch sonnig und glühend-heiße Gefühle erregend und zu ungestümer Freiheit lockend. Und diese Großartigkeit der Natur macht den Menschen um so mehr vertraut mit der Sprache der Vögel, der Winde und der Pflanzen.
In seinem Tagebuch vom 14. Juli 1857 hat Schewtschenko selbst den Unterschied zwischen der russischen und der ukrainischen Natur angedeutet. „Die Großrussen
- ↑ Einen glänzenden Versuch, Schewtschenko als Maler darzustellen, hat im Jubiläumsjahr Professor Nowyckyj gemacht. Seine prächtig mit Reproduktionen malerischer Schöpfungen Schewtschenkos ausgestattete Studie „Schewtschenko jak maljar“ (Lemberg–Moskau 1914), gedruckt auf Kosten der „Ševčenko-Gesellschaft der Wissenschaften in Lemberg“, blieb uns leider bis jetzt unzugänglich. – Im ganzen kennt man von Schewtschenkos Hand mehr als 600 Bilder (Gemälde), darunter 313 Landschfften, 124 Porträts und 70 Genrebilder.
Alfred Anton Jensen: Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Adolf Holzhausen, Wien 1916, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Taras_Schewtschenko._Ein_ukrainisches_Dichterleben._Von_Alfred_Jensen_(1916).djvu/100&oldid=- (Version vom 7.10.2018)