Skandal, wenn es keinen giebt; an den Predigten in unseren Kirchen, wie an den Verhandlungen unserer kirchlichen Versammlungen wetzen sie ihre giftigen Federn; aber die Judenfrage suchen sie todt zu schweigen und vermeiden es durchaus, ihre Leser von jenen unangenehmen Stimmen irgend Etwas hören zu lassen. Sie hüllen sich in den Schein, als verachteten sie ihre Gegner, als hielten sie dieselben keine Antwort werth. Es wäre richtiger, von den Feinden zu lernen, die eigenen Schäden zu erkennen und gemeinsam an der socialen Versöhnung zu arbeiten, die uns so nothwendig ist. In dieser Absicht möchte ich die Judenfrage behandeln, in voller christlicher Liebe aber auch in voller socialer Wahrheit.
Gelegentliche Aeußerungen über dies Thema sind aus den christlich-socialen Versammlungen oft aus Parteizwecken in das große Publikum getragen; immer entstellt, übertrieben, vergiftet. Die Reporter gewisser Blätter, eine Schande für die Stadt der Intelligenz, sind ebenso unwissend als unwahr; Vieles fälschen sie aus Unverstand, das Meiste aus Bosheit. Ein Vorgang, der sich im vorigen Jahr zutrug, ist lehrreich und charakteristisch. Während meiner Abwesenheit war in unseren Versammlungen mehr als nöthig über die Juden geredet; die Judenpresse schrieb, die Christlich-Socialen seien vom Judenhass beseelt und drängten zur Judenverfolgung. Ich kam zurück und ergriff die Gelegenheit öffentlich und feierlich zu erklären: Wir hassen Niemand, wir hassen auch die Juden nicht; wir achten sie als unsere Mitbürger und lieben sie als das Volk der Propheten und Apostel, aus welchem unser Erlöser hervorgegangen ist, aber das darf uns nicht abhalten, wenn jüdische Blätter unseren Glauben antasten und jüdischer Mammonsgeist unser Volk verdirbt, diese Gefahr zu kennzeichnen. Diese Erklärung wurde von Neuem verdreht; das ganze Elend Deutschlands – sollte ich gesagt haben – komme von den Juden. Eine Fluth von Zuschriften hagelte auf mich hernieder. Ein Berliner Jude, dessen Name ich kenne, schrieb an mich, sein Volk sei der Favorit Gottes und wenn
Adolf Stoecker: Das moderne Judenthum in Deutschland (Erste Rede). Wiegandt und Grieben, Berlin 1880, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stoecker_Zwei_Reden.djvu/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)