Die gemächliche Pförtnerin wies ihn mit harten Worten ab; er flehte vergebens. Selbst die Priorin und ihre Mitschwestern blieben taub bei seinen Klagen; nur eine Jungfrau, welche das Gelübde des Ordens noch nicht abgelegt hatte, bat bei den übrigen für ihn. Doch diese spotteten ihrer, und die Pforte des Klosters blieb dem armen Wanderer verschlossen. Da berührte er mit seinem Stabe die Erde, und plötzlich versank das Kloster in ihren gähnenden Schoos, der sich Flammen sprühend öffnete; an der Stelle des prächtigen Gebäudes blieb zum ewigen Gedächtnisse der grundlose See.
Die Novize lebte im innigsten Verständnisse mit einem der edelsten Ritter des Gaues, oft wandelte er in nächtlicher Stille zum einsamen Kloster, und wenn alles rings umher in den Armen des Schlummers lag, sprach er durch das Gitter ihres Zellenfensters Stunden lang mit ihr. So kam er auch in dieser schrecklichen Nacht, um mit der Geliebten zu kosen. Von starrem Entsetzen ergriffen, erblickte er auf der verödeten Stille nicht mehr die hohen Thürme des stattlichen Klosters; statt aller verschwundenen Pracht erscheint vor seinem Blicke jener geheimnissvolle See. Laut klagend erhob der Ritter seine Stimme, rief den Namen der Geliebten, dass er weit und breit wieder tönte, und sprach: nur noch einmal kehre zurück in meine Arme. Da vernahm er eine Stimme aus dem See: „Morgen um die eilfte Stunde der Nacht kehre wieder zu dieser Stätte, auf der Oberfläche des Wassers gewahrst du dann einen Faden von blutrother Seide, nimm ihn auf und zieh ihn empor.“ Die Stimme verhallte, der Ritter schlich traurig nach Hause, doch um die bestimmte Stunde kam er wieder und that, was ihn die Stimme geheissen hatte. Kaum zog er den Faden empor, da stand die Geliebte vor ihm. Das unergründliche Schicksal, sprach sie, das mich schuldlos mit den Schuldigen versenkte, vergönnt mir, dich jeden Tag von der eilften bis zur zwölften Stunde der Nacht zu begrüssen, nie darf ich die bestimmte Zeit überschreiten, sonst siehst du mich nicht wieder, und ausser dir darf keines Mannes Auge mich erblicken, sonst schneidet eine unsichtbare Hand den Faden meines Lebens entzwei. Lange setzte der Ritter seine nächtlichen Wanderungen fort, allein der Neid und die Missgunst belauschte seine Schritte. Eines Tages nahete er sich in einer mondhellen Nacht dem traulichen See. Doch ach! sein klares Wasser war in Blut verwandelt, bebend ergriff er den Faden, seine Farbe war verbleicht, und derselbe entzwei geschnitten. Da stürzte sich der trostlose Jüngling hinab in die Tiefe und versank. Einsam, verödet, unbesucht vom irrenden Wanderer, nur von wenig Menschen gekannt, ist dieser abgelegene See, an dem Rande eines melancholischen Tannenwaldes, der seine dunkle Äste ausbreitet über den geheimnissvollen Ort, der einst das Grabmahl der beiden Liebenden ward.
In der alten Burg Schwarzach lebte ehmals ein Ritter, seinen Namen hat die Tradition nicht aufbewahrt, doch erhielt sie die Sage, dass er blind gewesen sey und neun Töchter gehabt habe, welche so schön als tugendhaft gewesen seyen. Alles würden sie aufgeboten, alles, ja selbst ihre Schönheit aufgeopfert haben, um ihrem Vater das Licht seiner Augen wieder zu erkaufen. In einer benachbarten Walburg lebte damals ein Ritter, wild und finster waren seine Blicke; verborgen lag seine Burg von hohen Tannen umgeben, schwarz war sie von aussen, wie seine
- ↑ Badische Wochenschrift. Nr. 34. Freitags den 21. August 1807. Sp. 543–44. Vgl. oben S. 79.
Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)