(2, 353) Quelle oder gar Schimpf gegen Schiller sein, eine Deutung, gegen die sich hier die Herausgeber in einer Anmerkung an die „liebe Dummheit“, die nicht Spass verstünde, ausdrücklich verwahrten. Ob wohl diese Anmerkung, gegen das Ende des zweiten Bandes, als eine Art von Vorausverteidigung gegen die Anklage geschrieben ist, die etwa mündliche Nachrichten aus dem Vossischen Kreise schon damals gegen die „Lenore“ erwarten liessen? Und trotzdem denunzierte – natürlich im Hinblick auf Goethe – der alte Voss in seinem ersten Angriff auf das Wunderhorn (Morgenblatt 1808, 25./26. November) diesen „pöbelhaften Wortwechsel eines Mehldiebs und eines Flickendiebs“, womit „namentlich gegen Schiller gewitzelt“ werde. Mit demselben Rechte hätte er die gegen ihn gerichtete Sonettenbeilage der Einsiedlerzeitung, die als ein „Anhang zu Bürgers Sonetten in der letzten Ausgabe seiner Schriften“ angekündigt und veröffentlicht wurde, als eine Anmassung gegen Bürger ausgeben können, während doch Vossens Ärger über das Sonett und im Besonderen seine grosse Abhandlung über Bürgers Sonette in den Juni-Nummern der Jenaer Litteratur-Zeitung verspottet werden sollte. So ist es auch im Sinne des Wunderhorns nicht angängig, die „Pfarrerstochter von Taubenhain“, worin doch nur ganz schlicht und anspruchslos ein im Volke häufig erlebtes Motiv behandelt wird, oder gar die „Lenore“ der Frau Auguste Pattberg wegen ihrer Aufschriften als „Quellen“ der entsprechenden Balladen Bürgers aufzufassen. Es wird sich zeigen, dass auch sachlich Vossens Angaben über die Entstehung der Leonore Bürgers nicht in Ordnung sind.
Eine Entgegnung Seitens der Herausgeber oder Freunde des Wunderhorns war in dem von Voss beherrschten Morgenblatt nicht möglich. Dagegen standen ihnen damals noch die Heidelberger Jahrbücher zu Gebote. Görres nannte hier (1810. 5, 2, 44) in einem Zuge Graf Friedrich, Lenore, Thedel etc. Reminiscenzen aus der teils fabelhaften, teils wirklichen Geschichte der Nation und gleichsam kleine zusammengebrochene Abbilder der grossen Erscheinung, die sich früher vor uns gestaltete. Auch Wilhelm Grimm trat öffentlich für die Echtheit des Pattbergischen Volksliedes ein, über dessen Herkunft er genau unterrichtet war, und dessen Aufnahme in das Wunderhorn seine Ansicht mitbestimmt hatte. Er erklärte 1810 in seinen erst 1811 erschienenen Altdänischen Heldenliedern, S. 506, zu dem Liede vom Ritter Aage, wo er auch auf die englischen und deutschen Lenoren-Dichtungen zu sprechen kam: „man weiss, dass Bürger das Volkslied im Sinne hatte, von dem er wenige Zeilen hörte, und das vollständig nun im Wunderhorn II. S. 19 steht.
Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)