5, 61), und nach mehrfachen anderen Angriffen auf das Wunderhorn wählte er 1809 „Bürgers Briefwechsel mit Boie über die Lenore“ aus, den er im Morgenblatt Nr. 241 vom 9. Oktober, mit Anmerkungen drucken liess. In der Sache das urkundliche, wenn auch nicht vollständige Material für die bei Althof gegebene Darstellung dieser Dinge. Die eigentliche Tendenz der Veröffentlichung trat in der entscheidenden Anmerkung hervor, die da besagte: „Die Geschichte der Lenore hatte Bürger von einem Hausmädchen erzählen gehört. Die Erzählerin, die er in der Folge Christine nennt, wusste aus dem alten Liede nur die Verse:
Der Mond der scheint so helle,
Die Todten reiten schnelle
und die Worte des Gesprächs: Graut Liebchen auch? – Wie sollte mir grauen? Ich bin ja bei Dir. – Wir haben dem Liede in allen Gegenden von Deutschland umsonst nachgeforscht. Was man im Wunderhorn dafür ausgiebt, scheint nicht älter als die Pfarrerstochter von Taubenhain, die aus der Bürgerschen verdorben ist, … Sprache und Versbau ist modern.“ Man bemerke doch hier, wo Voss für jedes Wort aufkommen muss, den vorsichtigen Ton gegenüber der ungenierten brieflichen Auslassung seines Sohnes. Der alte Voss wagte jetzt doch nicht das Pattbergische Volkslied schlechtweg zu verwerfen. Indem er aber mit dialektischer Geschicklichkeit den Streit auf „die Pfarrerstochter von Taubenhain“ (Wunderhorn 2, 222) hinüberspielte, die er ohne Beweis für „aus der Bürgerschen verdorben“ erklärte und seinen eigenen Worten neben Bürgers Briefen den Schein urkundlichen Wertes zu geben wusste, erzielte er bei dem Leser betreffs des Lenoren-Volksliedes thatsächlich diejenige Wirkung, welche hervorzurufen seine eigentliche Absicht war.
Und doch muss Vossens Kritik als eine irrige bezeichnet werden. Das Pattbergische Volkslied sollte gar nicht, wie Voss meinte, die „Quelle“ der Bürgerschen Leonore sein. Über das Charakteristische der Liederaufschriften im Wunderhorn habe ich schon gesprochen. Kein Mensch kann die „Aussicht in die Ewigkeit“ (2, 403) für eine Quelle Lavaters betrachten. Niemand das „Ikarus“ getaufte Gedicht Justinus Kerners (2, 161) irgendwie mit der Ikarussage in Verbindung bringen, oder „Rinaldo Rinaldini“ (2, 366) als Spott oder Quelle für Vulpius auffassen. Wäre damals schon Werners Vierundzwanzigster Februar gedichtet gewesen, so hätte vielleicht „Die Mordwirthin“ (2, 197) eine andere Bezeichnung erhalten. Ebensowenig sollte die Aufschrift „Die feindlichen Brüder“ über ein handschriftliches Gedicht des 17. Jahrhunderts
Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)