Kriegsfall nicht anders machen. Ich sage es bloss als Warnung. Die Feinde des deutschen Reiches sind nicht zugleich unsere Feinde. Wir dürfen uns daher von dem gleichsprachigen Nachbarn, weil wir seine Zeitungen lesen, nicht seine kriegerischen Schlagworte und Tagesbefehle, seine patriotischen Sophismen, Urteilskunststücke und Begriffsverrenkungen in unser Heft diktieren lassen. Und wir haben die Feinde des deutschen Reiches, die nicht unsere Feinde sind, nicht nach der Maske zu beurteilen, die ihnen der Hass und der Zorn aufgesetzt, sondern nach ihrem wirklichen Gesicht. Mit andern Worten: Wir sind als Neutrale den übrigen Völkern die nämliche Gerechtigkeit des Urteils schuldig, die wir den Deutschen gewähren, deren Bild wir uns ja auch nicht in der französischen Verzerrung aufnötigen lassen.
Werfen wir doch einmal auf die Feinde des deutschen Reiches einen flüchtigen Blick aus dem eigenen Gesichtswinkel, ohne Brille.
Gegen die Engländer richten, wie Sie wissen, die Deutschen gegenwärtig einen ganz besondern Hass. Zu diesem ganz besondern Hass haben sie ganz besondere Gründe, die wir nicht haben. Im Gegenteil. Wir sind den Engländern zu ganz besonderem Dank verpflichtet. Denn mehr als einmal ist uns England in grosser Gefahr schützend beigestanden. England ist zwar nicht der einzige, aber der zuverlässigste Freund der Schweiz. Und wenn man mir entgegenhält: „Eitel Egoismus“, so bitte ich um mehr solcher Egoisten, die uns in der Not beistehen. Da täte verstärkter Geschichtsunterricht gut. Es muss ja nicht immer nur Sempach oder Morgarten sein, der Sonderbundskrieg und der Neuenburgerhandel gehören ebenfalls
Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SpittelerUnserSchweizerStandpunkt.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)