der Staatsformen, die Ähnlichkeit der gesellschaftlichen Zustände, ist das nicht auch eine Verwandtschaft? Die Namen „Republik“ „Demokratie“, Freiheit, Duldsamkeit usw. bedeuten diese einem Schweizer etwas Nebensächliches? Es gab eine Zeit – ich habe sie erlebt –, da galten diese Namen in Europa alles. Heute werden sie nahezu als Null behandelt. Alles war zuviel. Null ist zuwenig. Jedenfalls verachten, nicht wahr? wollen wir Schweizer deswegen die Franzosen nicht, weil ihnen die Kaiser, Könige und Kronprinzen gebrechen. Es sah nämlich fast ein bisschen danach aus.
Die richtige neutrale Einstellung zu den übrigen Staaten wäre für uns Deutschschweizer eigentlich leicht, da hier die Versuchungen zur Parteilichkeit wegfallen. Ja! wenn wir nur immer auch als Schweizer fühlten und urteilten! wenn wir nicht mit fremden Köpfen dächten und mit fremden Zungen sprächen! wenn wir uns nicht unsere Meinung vom Auslande suggerieren liessen! Die tausend und abertausend geistigen Einflüsse, die tagtäglich von Deutschland her gleich einem segensreichen Nilstrom unsere Gauen befruchtend überschwemmen, sind in Kriegszeiten nur filtriert zu geniessen. Eine kriegerische Presse ist überhaupt keine erhebende Literatur. Wie grosses auch sonst der patriotische Rausch zeitigen möge, auf das Sprachzentrum wirkt er entschieden ungünstig. Ist es überhaupt unumgänglich nötig, die blutigen Wunden, die ein Krieg schlägt, noch mit Tinte zu vergiften? Jedenfalls hat, wer für sein Vaterland stirbt, die edlere Rolle als wer für sein Vaterland schimpft. Ich sage das nicht im Sinne eines Urteils und meine es durchaus nicht überlegen. Wir würden es ja im
Carl Spitteler: Unser Schweizer Standpunkt. Rascher & Cie., Zürich 1915, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:SpittelerUnserSchweizerStandpunkt.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)