„Vier Stunden von da sind achthundert Riesen; das sind die allerstärksten, die es gibt. Die haben Milch“. – Der Schneider befahl, der Riese solle ein Geschirr holen. Der Riese ging hinaus und brachte einen Hafen. Der Schneider fragte, ob kein größeres Geschirr da sei. Der Riese antwortete: „Drunten im Stall ist eine Krippe.“ Der Riese mußte ihm die Krippe aufheben helfen, dann ging der Schneider mit der auf die Riesenburg zu. Als er hinkam, hatten die Riesen eine Schildwache dastehen. Diese fragte: „Was wollen Sie, gnädiger Herr Teufel?“ Da sagte der Schneider: „Ach was, auch noch ein Teufel, ich bin kein Teufel. Im Augenblicke muß die Krippe voll Milch sein!“ Da halfen sie geschwind zusammen und machten die Krippe voll Milch. Er trug sie heim und sagte: „Da, Mutter, eßt Euch gesund daran.“
Nach einiger Zeit ging seine Mutter einmal mit auf die Jagd. Draußen gab sie ihm sehr gute Worte, er solle ihr doch sagen, woher er so stark geworden sei. Da sagte er: „Mutter, wenn man neunundneunzig Kaufläden vertrinkt, ist man gewiß stark.“ Als beide heimkamen, fragte der Riese die Mutter, was er gesagt habe. Sie sprach, er habe gesagt: Wenn man neunundneunzig Kaufläden vertrinke, sei man gewiß stark. Der Riese aber meinte, davon sei er nicht so stark geworden. Nach etlicher Zeit ging die Mutter wieder mit ihrem Sohne auf die Jagd. Da gab sie ihm recht gute Worte – und er sagte es ihr: „Mutter, als unser Schiff unterging, fand ich da drinnen im Gebüsche den Ring, der macht mich so stark.“ Die Mutter ging heim und sagte zum Riesen: „Jetzt weiß ich’s.“
Als der Schneider von der Jagd heimgekehrt war, sich ins Bett legte und schlief, ging seine Mutter leis hinein und nahm den Ring, den er auf den Tisch gelegt hatte. Am anderen Tag sagte sie zum Schneider: „So, Hund, jetzt gehst mit mir!“ An der Straße, wo er die Königstochter nach ihrer Heimat zurecht wies, stach sie ihm die Augen aus und riß ihm die Fußsohlen auf.
Es kam aber ein Fuhrmann vorbei und nahm den Schneider mit in die Stadt, wo die Königstochter wohnte. Diese hatte ein Spital bauen lassen, wohin die einheimischen und fremden Kranken gebracht wurden. Alle Tage ging sie in das Spital und sah nach, was für Patienten da waren. Als der Schneider eingeliefert war, kam sie auch und fragte ihn, wie er denn so verunglückt sei. Er antwortete, sie solle acht Tage warten, bis die größten Schmerzen vorbei seien, dann wolle er es ihr sagen, wie es sich zugetragen habe. Nach acht Tagen kam die Königstochter wieder und nun erzählte der Schneider sein Schicksal. Die Königstochter teilte nun ihrem Vater mit, daß ihr Retter im Spitale liege, sagte, wie es ihm ergangen und daß sie ihn dennoch heiraten wolle. „Aber einen blinden Mann zum Regenten, das ist nichts!“ sagte der Vater. Er machte ein Schiff voll Geld, setzte seine Tochter und den Schneider darauf und jagte sie das Wasser hinein. Als sie an den Platz kamen, wo das Schiff des Schneiders unterging, landeten sie auch an, und als sie aus dem Schiffe waren, kam ein Sturmwind und jagte das Schiff in den Grund. Jetzt
Karl Spiegel: Märchen aus Bayern. Selbstverlag des Vereins für bayrische Volkskunde und Mundartforschung, Würzburg 1914, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiegel_Maerchen_aus_Bayern.djvu/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)