Noch während der Drucklegung erhält der Verein (9. 12. 1914) folgende Erzählung, die im ersten Teile wohl märchenhafte Züge besitzt, im zweiten Teile aber sich den Geschichten und Sagen von der tapferen Müllerstochter anschließt, die in der Nähe von Forchheim und Erlangen bekannt waren. (Vgl. Klarmann und Spiegel, Sagen und Skizzen aus dem Steigerwald [1912], S. 25 ff.)
Es war einmal ein Müller, der hatte drei Töchter, die mußten ihm die Kühe auf der Weide hüten der Reihe nach, am ersten Tag die älteste, dann die zweite, am dritten die jüngste. Es war aber gerade um die Zeit ein dürrer Sommer und die Tiere fanden kein Gras. Da trug sichs zu, daß plötzlich eine schwarze Kuh aus der Herde entwich. Die älteste Tochter aber merkte es und ging ihr nach, tief, tief in den Wald hinein. Der Weg wurde immer schmäler, bald umgab sie dichtes Gebüsch und so kam am Abend das Mädchen schließlich an ein Gartentor, hinter dem ein hellerleuchtetes Schlößchen hervorschimmerte. Draußen auf dem Rasen tat sich die Kuh gütlich, indes die Hirtin voll Neugierde eintrat und die Bodenstiege hinaufeilte. Es waren lauter feine Stuben. In einer derselben war ein Tisch gut gedeckt mit den allerfeinsten Speisen und Weinen. Das ließ sie aber alles stehen und sah sich noch weiter um. Schließlich fiel ihr auch im Zimmer auf, daß darinnen drei feine aufgerichtete Betten standen. Da mußte sie an ihr schlechtes eigenes Lager zuhaus denken und kurz entschlossen nahm sie das fremde auf ihre Schultern. Wie zufällig sah sie durchs Fenster, da merkte sie, daß es höchste Zeit sei, aus dem wunderbaren Hause zu gehen, denn eben marschierte die Kuh satt zum Tore hinaus. Sie lief ihr nach und gelangte, ihr immer folgend, wieder glücklich heim.
Das schöne Bett erregte den stillen Neid der anderen Schwestern, die des gleichen Glücks teilhaftig werden wollten. Als nun die zweite Tochter an die Reihe kam und die Kuh abermals entlief, ging auch diese dem Tiere nach und fand das gleiche vor. Wo das alte Bett gewesen, stand ein neues. Da eilte sie wieder mit der Kuh nachhause und kam glücklich mit ihrem Bett daheim an.
Nun ließ sich aber das jüngste Mädchen auch nicht mehr halten. Es war erst sechzehn Jahre alt, der Vater hatte es besonders lieb und wollte es nicht fortlassen. Der Müller fürchtete für seine Jüngste, nachdem die beiden anderen glücklich zurückgekehrt waren. Er versprach ein gleich schönes Bett zu kaufen und ihr zu schenken. Aber sie war nicht
Karl Spiegel: Märchen aus Bayern. Selbstverlag des Vereins für bayrische Volkskunde und Mundartforschung, Würzburg 1914, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiegel_Maerchen_aus_Bayern.djvu/44&oldid=- (Version vom 1.8.2018)