„Rother Dieter, seyd heute Nacht auf eurer Hut, denn es haben zwei Diebsgesellen eine Wette gethan: einer will eurer Frau das Leintuch unter dem Leibe weg holen, und ihr sollt es nicht hindern können.“ Der Dieter sagte: „Das sind zwei rechte Spitzbuben aneinander. Der eine wettet, er wolle das Leintuch holen, und der andere macht einen Bericht, damit sein Kamerad die Wette nicht gewinnt. Wenn ich nicht gewiß wüßte, daß der Heiner und der Frieder im Zuchthaus sitzen, so wollt ich glauben, sie seyens.“ In der Nacht schlichen die Schelme durch das Hanf-Feld heran. Der Heiner stellte eine Leiter ans Fenster, also daß der rothe Dieter es wohl hören konnte, und steigt hinauf, schiebt aber einen ausgestopften Strohmann vor sich her, der aussah, wie ein Mensch. Als inwendig der rothe Dieter die Leiter anstellen hörte, stand er leise auf, und stellte sich mit einem dicken Bengel neben das Fenster, denn das sind die besten Pistolen, sagte er zu seiner Frau, sie sind immer geladen; und als er den Kopf des Strohmanns herauf wackeln sah, und meinte der sey es, riß er schnell das Fenster auf, und versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf aus aller Kraft, also daß der Heiner den Strohmann fallen ließ und einen lauten Schrei that. Der Frieder aber stand unterdessen mausstill hinter einem Pfosten vor der Hausthüre. Als aber der rothe Dieter den Schrei hörte, und es war alles auf einmal still, sagte er: Frau, es ist mir, die Sache sey nicht gut, ich will doch hinunter gehen und schauen, wie es aussieht. Indem er zur Hausthüre hinaus geht, schleicht der Frieder, der hinter dem Pfosten war, hinein, kommt bis vor das Bett, nimmt
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/230&oldid=- (Version vom 1.8.2018)