ein solcher Faden, obgleich so fein, doch auch so fest seyn könne, daß das Thier mit der größten Sicherheit daran auf- und absteigen, und sich in Sturm und Wetter darauf verlassen kann. Muß man nicht über die Kunst und Geschicklichkeit dieser Geschöpfe erstaunen, wenn man ihnen an ihrer stillen und unverdrossenen Arbeit zuschaut, und an den großen und weisen Schöpfer denken, der für alles sorgt, und solche Wunder in einem so kleinen und unscheinbaren Körper zu verbergen weiß?
Das mag alles gut seyn, denkt wohl mancher, wenn sie nur nicht giftig wären, und lauft davon, oder zertritt sie, wo er eine findet. Aber wer sagt denn, daß unsere Spinnen giftig seyen? Noch kein Mensch ist in unsren Gegenden von einer Spinne vergiftet worden. Gibt es nicht hie und da Leute, die sie aufs Brod streichen und verschlucken? Wohlbekomms, wem es schmeckt! Auch sonst thun diese Thierlein, die nur für die Erhaltung ihres eigenen Lebens besorgt sind, keinem Menschen etwas zu leide. Im Gegentheil leisten sie in der Natur einen großen Nuzen, den man aber, wie es oft geschieht, nicht hoch anschlägt, weil jede einzelne wenig dazu beyzutragen scheint. Es ist das geringste, daß sie hie und da einer Stuben-Fliege den Garaus machen. Für diese wäre noch anderer Rath. Aber sie verzehren auch jährlich und täglich eine große Anzahl anderer sehr kleinen Mücklein, die uns durch ihre Menge erstaunend beschwerlich und schädlich werden, und gegen welche man sich nicht erwehren könnte, wenn sie überhand nähmen. Sind nicht manchmal ganze Ackerfurchen
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/098&oldid=- (Version vom 1.8.2018)