Meilen im Klaftermaaß. Das haben die Gelehrten mit großer Genauigkeit ausgemessen und ausgerechnet, und sprechen davon, wie von einer gemeinen Sache. Aber niemand kann die göttliche Allmacht begreifen, die diese ungeheure große Kugel schwebend in der unsichtbaren Hand trägt, und jedem Pflänzlein darauf seinen Thau und sein Gedeihen giebt, und dem Kindlein, das gebohren wird, einen lebendigen Odem in die Nase. Man rechnet, daß tausend Millionen Menschen zu gleicher Zeit auf der Erde leben, und bey dem lieben Gott in die Kost gehen, ohne das Gethier. Aber es kommt noch besser.
Denn zweitens: die Sonne, so nahe sie zu seyn scheint, wenn sie früh hinter den Bergen in die frische Morgenluft hinauf schaut, so ist sie doch über zwanzig Millionen Meilen weit von der Erde entfernt. Weil aber eine solche Zahl sich geschwinder aussprechen, als erwägen und ausdenken läßt, so merke: Wenn auf der Sonne eine große scharf geladene Canone stünde, und der Constabler, der hinten steht und sie richtet, zielte auf keinen andern Menschen als auf dich, so dürftest du deswegen in dem nemlichen Augenblick, als sie losgebrannt wird, noch herzhaft anfangen ein neues Haus zu bauen, und könntest darinn essen und trinken und schlafen, oder du könntest ohne Anstand noch geschwinde heirathen, und Kinder erzeugen und ein Handwerk lernen lassen, und sie wieder verheirathen und vielleicht noch Enkel erleben. Denn wenn auch die Kugel in schnurgerader Richtung und immer in gleicher Geschwindigkeit immer fort und fort flöge, so könnte sie doch erst nach Verfluß von 25 Jahren von der Sonne hinweg auf der Erde
Johann Peter Hebel: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen 1811, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schatzkaestlein_des_rheinischen_Hausfreundes.djvu/013&oldid=- (Version vom 1.8.2018)