Horpyna wusste es selbst zu gut. Beide schwiegen sie. Das Kind in der Wiege rührte sich. Die junge Frau nahm es auf die Hände und schaukelte es. Hungrig war es aufgewacht. Sie legte es wieder hinein – es war keine Milch da. Und da weinte es noch mehr. Horpyna sagte:
„Wären wir allein, wenn das Kind wenigstens nicht da wäre, schau her, wie es sich abquält. Ich bin hungrig und das Kind ist auch jeden Tag hungrig, denn ich habe ja keinen Tropfen Milch.“
Auch Petro schnitt das Weinen des Kindes wie mit einem Messer ins Herz. Als ob du ihm mit deinem Mitleid helfen könntest?
„Weisst du was, Petro? Geh hin und bitte den Vorsteher – vielleicht gibt er was aus dem Magazin? …“
Petro schweigt und das Kind weint und das schneidet immer wieder wie mit einem Messer ins Herz. Petro erhob sich und sprach:
„Ich geh! Man kann doch nicht Hungers krepieren!“
Er nahm die Mütze, stand noch eine Weile da, dachte nach und ging dann schweigend hinaus. Er wusste es, dass der Vorsteher eigenmächtig nicht geben durfte und ging doch hin, damit er wenigstens das Kind nicht weinen hören müsste.
„Und vielleicht gibt er doch?“ dachte er, „wer kann das wis[s]en? … Schön bitten muss man. Schade, dass ich auf kein Viertel (Schnaps) für die Räte habe.“
Petro betrat die Gemeindestube und bekreuzte sich: „Gesundheit! vom Herzen!“ Sprach’s und blieb an der Schwelle stehen. In einem Winkel sass hinter dem Tisch der Vorsteher und der Schreiber holte aus einem Kasten Papiere hervor, die er auf dem Tisch ausbreitete. Sonst ist niemand in der Gemeindestube da, nur Petro und die beiden. Petro will sprechen und bringt es nicht zuwege, er denkt: „Und wenn er sagt – nein, ich gebe nicht?“ Und wenn er daran denkt, fällt ihm ein, dass zu Hause Weib und Kind hungernd dasitzen werden und da geht ihm der Atem aus und er bringt kein Wort hervor, sondern steht an der Schwelle und dreht die zerfetzte Mütze in den Händen. Als der Vorsteher merkte, dass er etwas vorzubringen habe und nicht spreche – begann er selbst zu fragen:
„Was hast du, Petro?“
Petro trat näher und verneigte sich.
„Zu Euer Gnaden,“ sagte er.
„Nu?“
„Seid mir nicht böse, bin eben zu Euch gekommen … Schon den dritten Tag haben wir kaum etwas gegessen … Heute hatten wir noch keinen Bissen im Mund, und Mehl ist keines da …“
„Nu, und was?“
„Seid mir nicht böse! … Überall habe ich schon herumgebeten, aber wer soll denn[WS 1] welches borgen, wenn er vielleicht selber keines hat? … Also bin ich … Ob ihr nicht erlauben würdet, aus dem Magazin wenigstens ein Säckchen voll zu geben? …“
Der Vorsteher sah ihn an und lachte.
„He, Junge! Das darf ich nicht eigenmächtig tun, dazu braucht man die Erlaubnis der Bezirksverwaltung“.
„Des Semsto-Amtes, verstehst?“ sagte der Schreiber.
„Das schon,“ sagte Petro „aber könnte man nicht soso … wenigstens etwas …“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: den
: Ruthenische Revue, Jahrgang 2.1904. Verlag der Ruthenischen Revue, Wien 1904, Seite 548. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:RuthenischeRevue1904SelectedPages.pdf/460&oldid=- (Version vom 10.9.2022)