„Ich sehe, Ada hat Sie mit ihren abergläubischen Vermutungen nicht verschont.“
„Wenn das aber wahr ist? Wenn das alles wahr ist, was Mr. Smith gesagt hat?“ schrie Betsy entsetzt auf. „Ich fürchte mich so, daß ich lieber gleich sterben möchte. Ich habe nie, nie geahnt … Und ich fühle mich so wehrlos gegen das Unglück …“ Sie begann zu weinen, Tränenströme ergossen sich über ihre blassen, vergrämten Wangen.
Sie tat ihm furchtbar leid, aber er konnte sich nicht zu einem einzigen wärmeren Wort aufraffen. Er stand steif da und ließ seine glanzlosen Augen über die Wände gleiten.
„Und es war mir so wohl … Ich träumte so schön … Ich war so glücklich … Und jetzt! Und jetzt!“ schluchzte sie wieder, sie klammerte sich noch an diesen letzten Rest von Hoffnung, daß er vielleicht zu ihr sprechen würde, wie früher, daß er sie vielleicht stützen würde mit einem liebenden Arm, sie vor dem Unheil beschützen würde … Doch er rührte sich nicht, er war in einem sonderbaren Zwiespalt, ihre Tränen zerrissen ihm das Herz, und er wußte, was in diesem Augenblicke seine Pflicht war, er wußte, daß dieses wehrlose Kind zu ihm um Hilfe gekommen war, und doch vermochte er nicht das dunkle Geheiß zu brechen, welches ihm auch den kleinsten Beweis von Teilnahme untersagte. Er konnte nicht einmal rein körperlich irgendeine begütigende Bewegung machen. Er fühlte, daß er gemein und verräterisch handelte, daß er sich an diesem edeln und ihm aufs innigste ergebenen Geschöpfe weidete, es tötete, aber er konnte
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/308&oldid=- (Version vom 1.8.2018)