heißt’s gleich ‚lieben wir uns‘ und am Morgen wird Bruderschaft getrunken; aber am anderen Tag gibt sich jeder höchst sorgfältig Mühe, den andern nicht zu kennen.“
„Und doch ist mir dies angenehmer als diese langweilige Zeremonialität,“ beharrte Heinrich bei seiner Meinung, durch den spöttischen Ton Zenons gereizt.
Ada besänftigte sie, und sie gingen in den Greenpark, denn das Wetter war ausnahmsweise heiter, warm und trocken. Die Wege waren voll von Menschen und ebenso die riesigen Rasenflächen. Schon senkte sich die Dämmerung herab als bläulicher Nebel, das Getöse der Stadt tobte in der Luft, und hier und da blitzten Lichter in den Häusern auf. Sie blieben vor einer Schar Mädchen in weißen Sweatern und Mützen stehen, die leidenschaftlich Fußball spielten, als plötzlich die kleine Wanda ängstlich flüsterte:
„Mamachen, die Dame sieht mich wieder an!“
Ada preßte das Kind schützend an sich, während sie zugleich jene „böse“ Dame suchte; die stand, einige Schritte entfernt, ganz in Schwarz gekleidet wie immer, ihre Haare glänzten metallisch, ihr Gesicht war merkwürdig blaß, mit blutigroten Lippen und saphirblauen, grausamen Augen.
„Herr Zenon!“ Ada wollte ihn auf die Fremde aufmerksam machen.
Zenon hörte es jedoch nicht. Es war, als sei er hypnotisiert durch das unerwartete Erscheinen Daisys; sie lächelte ihn an und verschwand in
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/261&oldid=- (Version vom 1.8.2018)