„Und werden sie siegen? Sie müssen doch siegen,“ flüsterte sie heiß.
„Leider, nein, siegen muß der ursprüngliche Instinkt des Lebens … Es tut mit furchtbar leid um Christus und meine Bauern, aber es gibt keinen Platz mehr für sie auf dieser Welt, sie müssen zugrunde gehen.“
Er sprach mit so tiefer Trauer, daß ihre Augen sich mit Tränen herzlichen Mitleids füllten.
„Und nichts mehr kann sie retten, sie werden zugrunde gehen, und auf der Welt gibt es nur noch Platz für Warenhäuser und Fabriken! Der Mensch unserer Zeit hat sich ein unerschütterliches Ideal geschaffen: Genießen! Darüber hinaus versteht er nichts und braucht er nichts. Darum muß Christus in diesem letzten Kampf unterliegen. Alle werden ihn verlassen, und die Treuesten werden ihn verraten! Ich bin sogar sicher, daß sie ihn wieder kreuzigen werden an allen Kreuzwegen und in allen Hirnen, und daß sie seinen Namen dem Schimpf und dem Gespött preisgeben werden. Die Menschheit wünscht nur noch zu zeugen, zu fressen und zu krepieren! Und Christus stört sie in diesem freudigen und tierischen Genuß. Er weist ihnen noch andere Ziele, er stört sie und führt sie irre, wie die Qualen eines gemeinen Gewissens. Also fort mit ihm! Fort mit jeder Betrachtung, die aus dem Gleichgewicht bringt! Ich bin kein Christ, aber ich liebe diese wunderbare Gestalt des Nazareners, ich liebe ihn wie den übertraurigen Schrei der Seele, der durch Zeiten und Völker dahinfließt. Der arme Träumer, diese heilige Vision von Herzen, die sich
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/258&oldid=- (Version vom 1.8.2018)