Lächeln … Nein, nein, er konnte keine Ausrede finden und fuhr mit ihnen ins Theater.
Die Aufführung hatte bereits begonnen.
Zenon saß hinten in der verdunkelten Loge und schaute Ada nur mit kühlen, prüfenden Augen an, diesen wunderbaren Kopf mit dem scharfen Adlerprofil. Sie hatte das Gesicht einer Muse und der Sünde zugleich. In dieser Halbdämmerung und so nah, so verlockend nah, prangten ihre roten Lippen, diese beunruhigenden, gleichsam ewig durstigen Lippen. Er sah sie an wie ein Kunstwerk, sättigte seine Augen an ihrer Schönheit, freute sich mit der reinen Freude des Künstlers an ihr und bemerkte daher mit einer gewissen Unruhe, daß sie ein wenig zugenommen hatte, und daß ihr prachtvoller Busen die Fülle reifender Trauben annahm. Sie schien weder die Vorstellung, noch seine Augen zu sehen, denn ihre Blicke irrten irgendwohin, weit fort, gleichsam zu fernen Erinnerungen.
Ob sie sich erinnerte? Ob sie es immer noch mit derselben Gleichgültigkeit duldete, daß man sie vergötterte? Hatte sie auch anderen die Brosamen ihrer königlichen Gnade zum Geschenk hingeworfen? War sie immer noch ebenso kalt und gleichgültig?
Auf der Bühne sang man „Romea und Julia“.
Das Theater war überfüllt. In den Logen leuchteten weiß die entblößten Schultern, begeisterte Augen glänzten, und aufhörlich rauschten leise die Fächer. Die Luft war von Parfüm- und Blumenduft durchtränkt.
Im Saale war es halbdunkel, und auf der beleuchteten Bühne sangen heuchelnde Liebende von einer
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/220&oldid=- (Version vom 1.8.2018)