kaum imstande war, ein Wort herauszuwürgen, worauf die Jüdin von ihrem Platze sprang, die Maschinen leiser wurden und aller Augen sich zu ihm wendeten.
„Sie sind wohl aus Warschau selbst?“ fragte die Jüdin schüchtern, und ihr ausgemergeltes Gesicht wurde von stiller Freude erleuchtet.
„Ja, ja,“ antwortete er verwirrt, da alle die Leute ihn dicht umdrängten und ihn mit aufdringlichen Blicken musterten. Plötzlich fingen alle zu reden und durcheinander zu fragen an, es entstand ein unerhörter Lärm; einer schob ihm einen Stuhl zu, einer hielt seinen Hut, ein anderer reichte ihm Wasser, und von allen Seiten berührten ihn zart ihre Finger, und die geröteten Augen sogen sich gleichsam gefräßig an ihm fest.
Er antwortete mechanisch, denn eine mächtige Welle von Erinnerungen ergoß sich über seine Seele und rief in ihm Bilder ferner Jahre wach, längst verklungene Tage dämmerten in ihm auf, schmerzhafte Visionen vergangener Augenblicke und das Echo der fernen Heimat …
„Wo bin ich, was tun diese Leute hier? Warum?“ dachte er, sich ängstlich umschauend, denn das Elend, das aus jedem Winkel und jedem Gesicht hervorlugte, antwortete ihm mit mächtiger Stimme, warum und wozu. Da erfüllte ihn ein so tiefes Erbarmen, daß er den Widerwillen und Ekel vor ihrem Schmutz und ihren Lumpen überwand und ein längeres Gespräch mit ihnen anknüpfte. Sie klagten nicht, sie verwünschten niemand, doch jedes von ihnen entfaltete in einigen leise und ungeschickt hingeworfenen Sätzen
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/198&oldid=- (Version vom 1.8.2018)