„Ich war sündig. Der Herr hat mich erleuchtet und mich emporgehoben aus dem Abgrund der Schande, darum tue ich jetzt Buße …“ entgegnete sie streng und salbungsvoll.
„Gehören Sie zur Heilsarmee?“
„Ich gehöre zur Kirche ‚Der Bezwinger der Sünde‘.“
„Zur Kirche, die das Böse mit Sprüchen bekämpfen will?“ Seine Stimme klang ironisch.
„Wenn diese ihre Seele nicht speisen, wird ihnen auch das Brot zu Stein werden.“
„Und wer wird sie aus dem Elend erlösen?“
„Wer, Herr? Unsere Kirche, die das Böse bis auf den Grund vernichtet und deren Waffe das Gute ist …“
„Hier sind Erklärungen und Berichte über unsere Tätigkeit.“ Sie reichte ihm ein dünnes Heftchen.
„Fürchten Sie keine Beschimpfungen und Gefahren?“
„Mit mir ist der Herr!“
„Das mag sein, aber Sie sind jung, schön und wehrlos,“ flüsterte er unwillkürlich.
Sie maß ihn düster mit ihren schwarzen, großen Augen.
„Deine Schönheit ist nur ein Schein, womit der Satan dich zur Sünde verleitet, eine Maske, die eine übelriechende Leiche verdeckt, also hasse und verachte sie!“ Sie sagte es fanatisch und ging.
Er zuckte mit den Achseln und trat jetzt, ohne zu zögern, in die erste beste Schenke. Am Büfett standen zwei grell geputzte Mädchen, er achtete nicht auf ihre Einladungen und ging in einen großen niedrigen
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/124&oldid=- (Version vom 1.8.2018)