Miß Daisy spielte irgendein leises, in der Melodie verschwommenes Liedchen, als wenn sie ihn gar nicht beachtete, und er ging immerfort wie ein Irrer im Kreis um die Möbel herum und schaute manchmal durch die Scheiben in den grauen, traurigen Tag hinaus, doch er sah nichts, war fern von allem, einzig und allein vertieft in den Tau von Tönen, der immer leiser herunterfiel … Oder er riß sich auch von diesem wunderbaren Zauber los und schaute auf ihre roten Haare, die wie aus Kupfer gemeißelt schienen, und auf ihre weißen, langen Hände, die über die Klaviatur dahinglitten wie ein süßer Traum.
Sie spielte ohne Unterbrechung und wendete ihm nur hin und wieder ihr blasses, sinnendes Gesicht zu, und dann begegneten sich ihre Blicke für einen Moment; ihre wie aus hartem, kaltem Saphir gemeißelten Augensterne durchdrangen seine Seele, durch und durch; er hielt bebend an, denn es schien ihm, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, in dem sich dieses Etwas, das er erwartete, verwirklichen solle, daß jetzt das Geheimnis reden würde … Doch sie spielte weiter.
Er fühlte sich immer mehr gereizt und beunruhigt, er ging wieder im Zimmer umher und lauerte auf jede Bewegung ihres Kopfes, auf jeden ihrer Blicke, doch diese waren immer gleich kalt, durchdringend und stumm. Schon einige Male war die Empörung in ihm aufgewallt, so daß er energisch der Tür zugeschritten war, doch er konnte nicht fortgehen …
Und so flossen lange, lange Augenblicke in schweigender Erwartung dahin. Langsam, unmerkbar begann
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/099&oldid=- (Version vom 1.8.2018)