„Ich weiß nicht. Ich weiß nur eins: daß ihre Herrschaft bloß so lange dauert, bis die Schenken geöffnet werden, denn später fehlt es an Zuhörern und Geld.“
„Ist es schon lange her, daß Sie meinen Bruder gesehen haben,“ fragte sie ihn ganz unerwartet.
„Vor drei Tagen war ich bei ihm auf einer Seance.“
„Er beschäftigt sich also immer noch mit Spiritismus!“ rief sie voll Empörung.
„Verzeihung, ich wußte nicht, daß er dies vor Ihnen verheimlicht …“
„Nein, nein, ich dachte nur, daß er es schon längst aufgegeben hätte, denn er erwähnte nichts davon, nein … Aber auch Sie beschäftigen sich damit?“ fragte sie ängstlich.
„Ach nein, ich war auf der Seance, aber ich beteiligte mich nicht unmittelbar daran, denn ich spielte, oder vielmehr, ich begann zu spielen und schlief am Harmonium ein; man weckte mich, als schon alles vorüber war.“
„Sie glauben doch nicht an diese Sachen, nicht wahr?“ fragte sie beinahe bittend.
„Vor allen Dingen weiß ich nichts, ich habe nichts gesehen, ich behaupte nichts und bestreite nichts, denn ich befasse mich nicht damit.“ – Er hatte sich in diesem Augenblick plötzlich der wunderbaren Doppelexistenz Daisys erinnert, doch er erwähnte kein Wort davon, um ihr nicht Angst zu machen …
„Yoe war schon über zwei Wochen nicht mehr zu Hause, und doch ist sein Urlaub bald zu Ende, und er muß wieder ins Regiment,“ klagte sie leise.
Władysław Reymont: Der Vampir. Albert Langen, München 1914, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reymont_-_Der_Vampir.djvu/036&oldid=- (Version vom 1.8.2018)