Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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kann ich es billigen, wenn wir bey erkaltetem Herzen eine Ursache zum Bruche, welche die Schuld desselben auf den Geliebten werfen soll, hervorsuchen, und uns gegen ihn in Vortheil zu setzen suchen.
Wenn aber der Bruch geschehen ist, so behalten wir dennoch Pflichten gegen den geliebten Gegenstand auf uns. Ist der Bruch durch unsere Schuld herbeygeführt, wie elend, wie verworfen würden wir nicht handeln, wenn wir Haß und Feindschaft auf ihn würfen, und ihn vor den Augen der Welt als den schuldigen Theil darzustellen suchten! Aber selbst in dem Falle, wo der Bruch von ihm veranlaßt ist, wo er unsern Haß, ja unsere Verachtung auf sich gezogen hat, sind wir es uns selbst schuldig, unsere ehemalige Liebe möglichst zu ehren! Er hat einen Theil von unserm Wesen ausgemacht! Der liebende Zustand gehört zu der Geschichte unsers Lebens!
Du, der du den vorigen Gegenstand deiner Zärtlichkeit mit Schmähungen verfolgst, du schändest dich selbst, weil du dich von ihm hintergehen ließest, weil du an ihm hingest! Unverantwortlich handelt derjenige, der sich heimlicher Gunstbezeugungen rühmt, die er während der Verbindung genossen hat, um diejenige, die sich dazu verleiten ließ, zu entehren. Er bricht das Siegel des Vertrauens, das jedem edeln Manne heilig ist: er enthüllt Geheimnisse, die ihm nicht gehören, und zeugt zu seiner eigenen Schande von Vergehungen, die er selbst herbeygeführt und getheilt hat!
Aber sind wir es uns nicht selbst schuldig, der Welt zu zeigen, daß wir nicht den Bruch veranlaßt haben, daß unser Betragen nicht dazu berechtigt hat?
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/395&oldid=- (Version vom 1.8.2018)