Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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und ausgefüllter zusammen leben werde, als mit jedem andern; daß keiner so würdig sey, den Werth ihrer Reitze und der Vorzüge ihrer Person zu schätzen; daß sie in keinem den Führer, das Haupt der Verbindung so gern anerkennen möchte, als in ihm; und daß endlich die Stärke seines Geistes sich dergestalt an die Zartheit des ihrigen schmiegen könne, daß sie in dem Gefühl erhöheter Sanftheit mit ihm zusammentreffen werde.
Wo der Mann auf solche Art den Häuslichkeitstrieb, die üppige Eitelkeit der Geliebten interessieren, und hier gar begeistern kann; da wird die Ueppigkeit und Lüsternheit des Körpers leicht erwachen; da wird er der Selbstheit ihres Geschlechts und ihrer Person wichtig werden. Inzwischen gelangt er dadurch noch nicht zum völligen Besitz ihres Herzens. Er wird nur dieß erreichen, daß sie einen eigennützigen Werth auf ihn legt, den er so lange behält, bis ein anderer ihn ersetzt.
Kann er aber nun zugleich ihre Sympathie interessieren, kann er das Gefühl bey ihr erwecken, daß ihre Gunst zu seinem Glücke unentbehrlich ist, kann er sie zum anhaltenden Mitleiden über seinen Kummer, zur Wonne über sein Glück bewegen; kann er ihrem Beschauungshange die Wonne zuführen, daß der Mann, der ihr so viel werth ist, und den sie so unaussprechlich glücklich oder unglücklich machen kann, den Beyfall oder die Bewunderung eines jeden Weibes verdienen, den ihrigen verdienen würde, wenn sie ihn auch nur aus der Beschreibung kennte; – und kann er sie an alle diese Gefühle gewöhnen; ja, dann darf er sicher seyn, ihr Herz gewonnen zu haben, und wieder geliebt zu werden.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/204&oldid=- (Version vom 1.8.2018)