Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
|
aufzudringen, über Devotion gegen Gott, Sittlichkeit, Anstand und Pflichten gegen ihre Familie, und die örtliche Gesellschaft. Selbst ihren Geschmack an Meublierung und Putz muß er nicht beherrschen wollen. Er darf dieß alles leiten, aber nicht ohne ihre Ueberzeugung vorher gewonnen zu haben, und nie ohne ihre Selbständigkeit und das Recht, das sie hat, in diesen Stücken ihre eigene Meinung beyzubehalten, anzuerkennen. Sie, die Gattin, wird dann ihrer Seits in denjenigen Verhältnissen, die der Mann nicht mit ihr theilt, sich sogar des Rathgebens enthalten, und in allen ihren gemeinschaftlichen Verhältnissen ihm die Führung, das Vorangehen, die endliche Bestimmung, nicht bestreiten. Sie herrscht mit, aber wie eine untergeordnete, helfende Macht! Sie bewacht den zu raschen Mann, sie hält ihn auf durch ihre Vorstellungen, durch ihre Bitten, durch ihre Thränen! Und muß sie dennoch nachgeben, so geschieht es nie aus blindem Glauben an die Unfehlbarkeit des Geliebten. Sie nutzt vielmehr ihre ganze Eigenthümlichkeit, die schädlichen Folgen des vernachlässigten Raths abzuwenden, und wenn diese dennoch eintreten, sie durch Trost und Heilmittel zu mildern! Wie wichtig wird dem Manne die Beystimmung einer solchen Gattin! Wie ungern wird er für sie beyde allein wählen und allein handeln wollen!
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/188&oldid=- (Version vom 1.8.2018)