Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil | |
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wahren und glücklichen Liebe! Findet ihr ein Wesen, das fähig ist, andern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wenn gleich ihre Anmaßungen mit den seinigen zusammenstoßen; das im Stillen und ungesehen verbinden mag, auch dann verbinden mag, wenn es nicht geachtet und verkannt, und mit Undank gelohnt wird; das seine Fehler beweinen und abbitten kann; – und ein solches Wesen ist zugleich fähig, alles für einen Einzigen aufzuopfern; o! so liebt, und seyd sicher, daß eure Vernunft in kälteren Augenblicken euch wenigstens nie die Schande einer unedlen und häßlichen Wahl vorwerfen wird.
Vielfältige Erfahrungen haben mich überzeugt, daß ein solches Herz von Natur Anlage zum Gefühl für das Vollkommne, Edle und Schöne hat, und daß diese durch Liebe leicht ausgebildet werden könne. Gesetzt dann auch, die Geliebte mit einem solchen Herzen bleibt von Seiten des Verstandes und der Phantasie in einigem Abstande hinter dem Mann zurück; gesetzt sie erreicht nie völlig die reitzenden Talente, deren gemeinschaftliche Ausbildung das Glück des Lebens so sehr erhöhet; das bloße Streben nach einer Vollkommenheit, deren Werth gefühlt wird, ist schon ein hoher Genuß, vielleicht der höchste den die Liebe darbietet. Was kann interessanter seyn, als einen Geist sich aufarbeiten, seine Schwäche überwinden, alle seine edleren Anlagen ausbilden sehen, um der Liebe willen!
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Zweyter Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_2.djvu/180&oldid=- (Version vom 1.8.2018)