Im zehnten Jahrhundert nach Christi Geburt lebte der Erzbischof Hatto von Mainz. Er hatte nicht den Grundsatz „Geben ist seliger denn nehmen“, gehörte im Gegenteil zu jenen vornehmen und reichen geistlichen Herren, von denen man sagte, daß sie Jeden, der bei ihnen eintrat, nur fragten „Was bringen Sie?“ weil sie nur an das Eintreiben von Zehnten und Sporteln gewöhnt waren und die Gebote des Herrn, die Gebote der Liebe und Barmherzigkeit, selbst nicht hielten.
Zu den Zeiten dieses Bischofes Hattonis nun geschahe es, daß eine große Hungersnot am Maine und am Rheine ausbrach. Hatto hatte viel Korn in Mainz aufgespeichert, das er als Zehnten von den Feldern weit um Mainz her hatte abholen lassen. Denn auch für ihn wie für die andern Erzbischöfe galt der Spruch: „Von der Huf’ ein Wispel, von der Huf’ ein Wispel.“ Und alle die Wispel hatte er nach Mainz fahren lassen und da lagen sie in seinem Magazine bis die Preise in die Höhe gingen, dann aber „schlug er los“, wie der Geschäftsausdruck lautet, trotz seiner erzbischöflichen Würde immer zu den höchsten Preisen, und mit Korn beladen gingen seine Schiffe rheinauf und rheinab.
Die Hungersnot am Rhein war entstanden wie die Hungersnot gewöhnlich
Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Tonger & Greven, Berlin 1886, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Rheinlands_Sagen_und_Geschichten.djvu/106&oldid=- (Version vom 1.8.2018)