Abends 5 Uhr kommt er mit ihr zusammen bei der Sophienbrücke.
Sie habe nur getanzt, er selbst habe sie dazu doch animiert. Nichts sei geschehen. Wirklich gar nichts.
Er steht schweigend.
„No,“ sagt sie, in der tausend Leben unausgeschöpfter Jugend brausen, „no,“ sagt sie liebevoll, „Sie grosser Dummrian, Sie – – –.“
Er sticht ihr ein Messer in den Bauch.
Die Wiener Geschworenen sprachen ihn frei vom Morde, wegen „momentaner geistiger Unzurechnungsfähigkeit“.
Der Dichter aber träumte: „17-Jährige, tausend Leben unausgeschöpfter Jugend brausten in dir – – –. Amen.“
Sommernacht in Wien.
Nach den Mühseligkeiten, Demütigungen des Gelderwerbes vermittels Blumen und Champagner im „Englischen Garten“ kommen die Mädchen ins Kaffeehaus, als freie Herrinnen, zu ihrem eigenen Vergnügen, gleichsam momentan in Prinzessinnen umgewandelt aus dienenden Sklavinnen. Niemand darf mehr denken über sie: „Zudringliche Geschöpfe“ oder es sogar aussprechen: „Bitte, belästigen Sie uns nicht!“
Sie sind Damen geworden, die Gnaden austeilen, nach Laune und eigenem Willen. Von 3 Uhr morgens
Peter Altenberg: Pròdromos. Berlin 1906, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prodromos_(Altenberg).djvu/197&oldid=- (Version vom 1.8.2018)