Arbeit der Erkenntnis, so auch in der geistigen Arbeit der Sprache ausdrückt. Nicht darum handelt es sich daher, ob der Akt der Benennung zuerst Dinge oder Tätigkeiten als an sich seiende Bestimmtheiten der Wirklichkeit ergreift, sondern darum, ob er im Zeichen der einen oder der anderen sprachlich-gedanklichen Kategorie steht, – ob er gleichsam sub specie nominis oder sub specie verbi erfolgt.
Und es läßt sich von Anfang an erwarten, daß dieser Frage gegenüber eine schlechthin einfache apriorische Entscheidung nicht möglich sein wird. Wird die Sprache nicht mehr als das eindeutige Abbild einer eindeutig-gegebenen Wirklichkeit, sondern wird sie als ein Vehikel in jenem großen Prozeß der „Auseinandersetzung“ zwischen Ich und Welt gefaßt, in dem die Grenzen beider sich erst bestimmt abscheiden, so ist ersichtlich, daß diese Aufgabe eine Fülle verschiedenartiger möglicher Lösungen in sich birgt. Denn das Medium, in dem die Vermittlung vor sich geht, besteht ja nicht von Anfang an in fertiger Bestimmtheit, sondern es ist und wirkt nur dadurch, daß es sich selbst gestaltet. Von einem Kategoriensystem der Sprache und von einer Ordnung und Abfolge der sprachlichen Kategorien in zeitlicher oder logischer Hinsicht kann daher nicht in dem Sinne gesprochen werden, daß darunter die Aufstellung einer Anzahl fester Formen verstanden wird, in denen, wie in einem vorgeschriebenen Geleise, alle Sprachentwicklung ein für allemal verläuft. Wie in der erkenntniskritischen Betrachtung, so kann vielmehr auch hier jede einzelne Kategorie, die wir aussondern und gegen die anderen abheben, immer nur als ein einzelnes Motiv gefaßt und beurteilt werden, das sich, je nach den Beziehungen, in die es zu anderen Motiven tritt, zu sehr verschiedenen konkreten Einzelgestaltungen entfalten kann. Aus dem Ineinander dieser Motive und aus dem verschiedenen Verhältnis, in das sie zueinander treten, ergibt sich die „Form“ der Sprache, die jedoch nicht sowohl als Seinsform, als vielmehr als Bewegungsform, nicht als statische, sondern als dynamische Form zu fassen ist. Es gibt hier demnach keine absoluten, sondern immer nur relative Gegensätze – Gegensätze des Sinnes und der Richtung der Auffassung. Der Nachdruck kann bald auf das eine, bald auf das andere Moment fallen, die dynamischen Akzente zwischen Ding- und Eigenschafts-, Zustands- und Tätigkeitsbegriffen können in der mannigfachsten Weise verteilt werden und erst in diesem Hin und Wieder, in dieser gewissermaßen oszillierenden Bewegung besteht der besondere Charakter jeder sprachlichen Form als schöpferischer Form. Je schärfer man diesen Prozeß in der Besonderung aufzufassen versucht, die er in den Einzelsprachen erfährt, um so deutlicher wird, daß hier die einzelnen
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/248&oldid=- (Version vom 19.1.2023)