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Seite:Philosophie der symbolischen Formen erster Teil.djvu/175

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dieser Art zu begründen und zu stützen versucht hat. Wenn im Sinne der lokalistischen Auffassung darauf hingewiesen wurde, daß alle Entwicklung der Sprache, wie die des Denkens überhaupt, vom Anschaulichen, vom „Konkret-Lebensvollen“ zum Begrifflichen gehen müsse, und daß dadurch der ursprünglich-örtliche Charakter aller Kasusbestimmungen gewissermaßen a priori erwiesen sei[1], so wurde diesem Argument entgegengehalten, daß hier der Begriff der Anschauung zu Unrecht auf ein bestimmtes Einzelgebiet, auf das Gebiet der räumlichen Anschauung, eingeengt werde. Nicht nur die Bewegung im Raume, sondern auch mannigfache andere dynamische Verhältnisse, wie Sieg und Unterliegen, Wirken und Gewirktes seien unmittelbar anschaulich gegeben, – seien etwas, das mit Augen gesehen werde[2]. Dieser Einwand aber, der von B. Delbrück erhoben worden ist, ist freilich – zum mindesten in der Form, in welche er hier gefaßt wird – nicht haltbar. Denn seit Humes Analyse des Kausalbegriffs leidet es keinen Zweifel, daß es keine sinnliche Impression und keine unmittelbare Anschauung dessen gibt, was wir den Vorgang des „Wirkens“ nennen. Alles was uns von der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung jeweils „gegeben“ ist, geht in die Feststellung bestimmter örtlicher und zeitlicher Verhältnisse, in Verhältnisse des Neben- und Nacheinander auf. Auch Wundt, der gegen die lokalistische Ansicht einwendet, daß das Räumliche keineswegs alle sinnlich-anschaulichen Eigenschaften der Gegenstände erschöpfe, bricht doch diesem Einwand dadurch wieder die Spitze ab, daß er unmittelbar darauf anerkennt, daß den räumlichen Eigenschaften vor allen anderen ein charakteristischer Vorzug eigne: denn alle anderen Beziehungen seien immer zugleich räumlicher Art, während nur die räumlichen Verhältnisse auch für sich allein den Inhalt einer Anschauung bilden könnten[3]. Damit wird von vornherein wahrscheinlich, daß auch die Sprache zum Ausdruck der rein „intellektuellen“ Beziehungen erst fortschreiten kann, indem sie dieselben aus ihrer Verknüpfung mit räumlichen herauslöst und sie aus diesen letzteren gleichsam „ersondert“. Im fertigen Gliederbau unserer Flexionssprachen läßt sich freilich in jeder der Hauptkasusformen stets auch eine bestimmte logisch-grammatische Funktion erkennen, der sie wesentlich dienen. Durch den Nominativ wird der Träger der Handlung, durch den Akkusativ oder Genitiv wird ihr Objekt, sofern


  1. [1] S. hrz. Whitney, General considerations on the European case-system, Transact. of the Americ. Philol. Assoc. XIII (1888), S. 88 ff.
  2. [2] Delbrück, Grundfragen der Sprachforschung, Straßb. 1901, S. 130 ff.
  3. [3] Wundt, a. a. O., II, 79 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/175&oldid=- (Version vom 9.10.2022)