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Seite:PhilonCherGermanCohn.djvu/022

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Philon: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn

der Körper wie ein Herr zu betrachten[1]. 62 Er aber wie aus finsterer Nacht vom strahlenden Sonnenlicht erhellt oder aus tiefem Schlaf erwacht oder wie ein Blinder, der plötzlich wieder sieht, fand auf einmal alles, was geschaffen ist, Himmel, Erde, Wasser, Luft, Pflanzen, Tiere, ihre Haltung, Beschaffenheit, Kräfte, Zustände, Lage, Bewegungen, Tätigkeit, Handlungen, Veränderungen, Vergehen, und das eine sah er, das andere hörte, kostete, roch oder betastete er; und dem einen neigte er sich zu, das ihm Lust bereitete, von dem andern wandte er sich ab, das ihm Schmerzen verursachte. 63 Wie er nun hierhin und dorthin um sich schaute und sich und seine Kräfte betrachtete, wagte er sich ebenso zu brüsten wie der Makedonenkönig Alexander; als dieser nämlich die Herrschaft über Europa und Asien erlangt zu haben glaubte, soll er auf einen geeigneten Platz getreten sein und alles ringsherum betrachtend gesagt haben; „dies hier und dies dort ist mein“, womit er nur die Leichtfertigkeit einer jugendlich unreifen und wirklich ganz gewöhnlichen, nicht königlichen, Seele zeigte. 64 Vor ihm aber wurde der Geist, nachdem er die Sinneskraft erlangt und durch sie jede Körperart erfasst hatte, von sinnlosem Dünkel erfüllt und aufgeblasen, so dass er wähnte, alles sei sein Besitztum und einem andern gehöre gar nichts. 65 (20.) [p. 151 M.] Das ist die Sinnesart in uns, die Moses bezeichnend Kain nennt, was „Besitz“ bedeutet, die voller Torheit, mehr noch voller Gottlosigkeit ist; denn statt alles für Gottes Besitztum zu halten, meint der Mensch, es gehöre ihm, wiewohl er nicht einmal sich selbst sicher zu besitzen vermag, ja nicht einmal weiss, was er seinem Wesen nach ist. Wenn er aber dennoch auf die Sinne vertraut, als seien sie imstande die wahrnehmbare Aussenwelt zu erfassen, so mag er doch sagen, wie er das Versehen oder Verhören oder bei einer anderen Sinnestätigkeit den Irrtum wird vermeiden können. 66 Und doch müssen diese


  1. Diese Schilderung erinnert sehr an die Lehre Heraklits von der αἴσθησις und dem λόγος und vom menschlichen Nus im wachen und schlafenden Zustande bei Sext. Em. Adv. math. VII 126ff. (Diels Fragm. d. Vorsokr. I 69ff.), besonders die Worte (130) ἐν δὲ ἐγρηγόρσει πάλιν διὰ τῶν αἰσθητικῶν πόρων ὥσπερ διά τινων θυρίδων προκύψας καὶ τᾷ περιέχοντι συμβαλὼν λογικὴν ἐνδύεται δύναμιν.
Empfohlene Zitierweise:
: Ueber die Cherubim (De Cherubim) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1919, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonCherGermanCohn.djvu/022&oldid=- (Version vom 3.12.2016)