Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler | |
|
von Sünden reinigt und entleert,[1] der andere sie nährt und sie mit den rechten Pflichten erfüllt. Solche Führer sind die Hirten-Logoi in uns; die Herden aber, die durch die Worte „Schafe und Ziegen“ bezeichnet werden, springen und schreiten vorwärts[2] mit Eifer auf die Gerechtigkeit zu. 199 Als nun das bis dahin geschlossene Auge des Geistes aufblickte, [651 M.] sah es die den Böcken und Widdern entsprechenden vollendeten Logoi, die nach der Verminderung des Unrechten und nach der Vermehrung der rechten Taten streben, wie sie die Schafe und die Ziegen besteigen, das heißt: die noch jungen und zarten, soeben herangereiften und mit der Jugendblüte gezierten Seelen; sie besteigen[3] sie aber nicht, weil sie unvernünftiger Lust nachjagen, sondern um sich des unsichtbaren Samens verständiger Lehren zu bedienen. 200 Guten Kindersegen nämlich bringt solche Hochzeit, die nicht Körper verbindet, sondern mit wohlgewachsenen Seelen vollkommene Tugenden vereint. Besteiget also, bespringet und zeuget, all ihr rechten Logoi der Weisheit, und wenn ihr eine tiefe, fruchtbare, jungfräuliche Seele seht, geht nicht vorüber, ruft sie zum Verkehr und zum Zusammensein mit euch, bringt sie zur Vollendung und macht sie schwanger; denn sie wird lauter Edles gebären, ein männliches Geschlecht von „durch und durch weißen, bunten, graugesprenkelten“ (1 Mos. 31, 10).
[35] 201 Man muß aber erforschen, was für eine Bedeutung jedes dieser Geschöpfe hat. Die durch und durch weißen sind nun wohl die weithin Leuchtendsten und Klarsten, da das „durch“ oft zur Bezeichnung des überaus Großen gesetzt wird, weshalb man mit „durch und durch klar“ und „durch und durch deutlich“ das überaus Klare und überaus Deutliche zu bezeichnen pflegt. 202 Er will also, daß die erstgeborenen Geschöpfe der Seele, die den heiligen Samen empfing, durch und durch weiß sind, nicht einem schwachen Lichte, sondern einer fernhin leuchtenden Flamme vergleichbar, so wie etwa der von den Sonnenstrahlen bei wolkenlosem Himmel zur Mittagszeit ausgehende Glanz schattenlos ist. Er will aber auch, daß sie bunt sind, nicht nach Art des vielgestaltigen und mannigfaltigen
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/51&oldid=- (Version vom 7.10.2018)