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Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/14

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Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn

dass dieser als das vorzüglichste und aus dem reinsten (Stoffe) der Materie gebildete[1] aller geschaffenen Dinge zuerst ins Dasein trat, da er die hochheilige Wohnung der sichtbaren und sinnlich wahrnehmbaren Götter[2] sein sollte. 28 Denn wenn auch der Schöpfer alles zugleich erschuf, so war doch nichtsdestoweniger Ordnung in der schönen Schöpfung; denn nichts ist schön bei Unordnung. Ordnung aber ist die Aufeinanderfolge und Verbindung vorangehender und nachfolgender Dinge, wenn auch nicht immer in der Ausführung, so doch in den Gedanken der Verfertiger; so klar und deutlich und nicht verworren mussten diese gefasst sein. 29 Zuerst also erschuf[3] der Schöpfer einen unkörperlichen Himmel und eine unsichtbare Erde und die Idee der Luft und die des leeren Raumes; von den beiden letzteren nannte er die eine „Finsternis“, da der Luftraum seiner Natur nach dunkel ist[4],

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber die Weltschöpfung (De opificio mundi) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloOpifGermanCohn.djvu/14&oldid=- (Version vom 9.9.2019)
  1. Philo nennt den Himmel aus dem reinsten Bestandteil der Materie gebildet, weil er sich nach stoischer Lehre den Himmel und die Himmelskörper aus dem Feuer entstanden denkt, das als das feinste und reinste der vier Elemente galt.
  2. Unter den sichtbaren Göttern sind die Gestirne gemeint, die von den meisten griechischen Philosophen für vernünftige göttliche Wesen gehalten wurden. Philo schliesst sich in der Ausdrucksweise und philosophischen Terminologie eng an seine griechischen Quellen an; trotz seines Monotheismus trägt er selbst kein Bedenken, die Gestirne als „Götter“ oder als „göttliche Wesen“ zu bezeichnen, ganz so wie es Plato, Aristoteles, die Stoiker und die Pythagoreer taten.
  3. Sieben Teile unterscheidet Philo in der Idealwelt, die nach seiner Ansicht am ersten Tage geschaffen wurde: die Ideen des Himmels, der Erde, der Luft, des leeren Raumes, des Wassers, des Lufthauches und des Lichts. Diese 7 Dinge las Philo aus den drei ersten Versen der Bibel heraus: „Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde ... und Finsternis lag auf dem Abgrund, und der Geist (πνεῦμα = Lufthauch, Odem) Gottes schwebte über dem Wasser; und Gott sprach, es werde Licht“. Merkwürdig ist, dass auch nach dem Talmud vor der eigentlichen Weltschöpfung sieben ideelle Dinge geschaffen wurden (Pesachim f. 54a). Auch im Buch der Jubiläen cap. 2 wird erzählt, dass 7 Dinge am ersten Tage geschaffen wurden. Im Midrasch Tadsche cap. 6 ist Philo benutzt (A. Epstein, Revue des études juives XXI S. 83).
  4. Philo identifiziert den biblischen Ausdruck σκότος (Finsternis) mit der Idee der Luft (ἀήρ). Die altgriechische Anschauung versteht nämlich unter ἀήρ die untere dichte neblige Luft und geradezu den finsteren Nebel im Gegensatz zu αἰθήρ (Aether), der oberen Luftschicht, dem klaren Himmel.