Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn | |
|
Berg Sina war in Rauch gehüllt, weil Gott auf ihn im Feuer herabgestiegen war, und der Rauch stieg auf, wie der Rauch eines Ofens; und es war das ganze Volk sehr außer sich.“[1] Und im Levitischen Buche (3 Mos. 9, 24) bei der Priesterweihe am achten Tage, als „Feuer vom Himmel kam und was auf dem Altar war, die Ganzopfer und die Fettstücke, verzehrte“ heißt es sogleich: „Und das ganze Volk sah es und war außer sich[2] und sie fielen aufs Angesicht“. Eine solche Ekstase schließt Furcht und starke Bestürzung ein.
252 Aber[3] soll man sich nicht wundern sowohl über Esau, daß er, der „Jagdkundige“, stets erjagt und an der Ferse gehalten[4] wird, indem er seine Kunst zu seinem Schaden, nicht zum Nutzen, erworben hat, aber niemals sich beeilte zu erjagen, als auch über Jakob, daß er – nicht weil er es erlernt hat, sondern von der Natur dazu getrieben wird – die Leidenschaft erjagt und zum Schiedsrichter[5] hinbringt, daß er prüfe, ob sie echt ist, und deshalb „von allem esse“ (1 Mos. 27, 33)? 253 Denn alles, was zur Tugendübung gehört, ist genießbar: Die Untersuchung, die Betrachtung, die Prüfung, das Hören, die Aufmerksamkeit, die Selbstbeherrschung, die Gleichgültigkeit gegen das Gleichgültige. Von allem aber aß er ohne Zweifel nur den Opferteil,[6] denn er mußte auch für den sich Übenden[7] etwas zu passender Nahrung übriglassen als Siegespreis. 254 Naturgemäß „bevor du kamst“ (1 Mos. 27, 33); denn wenn die Leidenschaft[8] in die Seele eingedrungen ist, werden wir von der Selbstbeherrschung keinen Genuß haben. Aber er tadelt auch den Schlechten als langsam, saumselig, als Zauderer bei den Werken der Selbsterziehung, aber nicht bei denen der Zuchtlosigkeit. 255 Daher hat Ägypten „Treiber“, die zum Genießen der Leidenschaften hindrängen (2 Mos. 5, 13), Moses dagegen ermahnt, „mit Eile“ (2 Mos. 12, 11) das Pascha zu verzehren, durch ein Festmahl die „Abkehr“[9] von diesen zu feiern.
Philon: Der Erbe des Göttlichen (Quis rerum divinarum heres sit) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloHerGermanCohn.djvu/68&oldid=- (Version vom 4.8.2020)
- ↑ Hier steht im Μ. T.: das Volk erschrak.
- ↑ Hier lautet der Urtext „sie schrieen laut.“
- ↑ In den §§ 252–256 gibt Philo beiläufig eine allegorische Erklärung zu den § 251 angeführten Worten Isaaks (Wendland z. St. in der ed. maior).
- ↑ D. i. eingefangen und hintergangen; für ויעקבני hat die Sept. dieses hier von Philo angewandte Zeitwort. Vgl. zur Sache All. Erkl. III 190.
- ↑ Nach dem folgenden: Isaak.
- ↑ S. die Anm. zu § 113.
- ↑ Jakob; s. Über Abraham § 52.
- ↑ Ihr Symbol ist Esau.
- ↑ Eig. das „Hinübergehen“, die Übersetzung von פסח, s. oben § 192.