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Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/38

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Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn

weiblicher als die Augen, die kühn zu den sichtbaren Dingen vordringen und nicht erst abwarten, bis diese sie erregen, sondern ihnen vorher entgegeneilen und sie im Gegenteil in Bewegung zu setzen suchen. Das Ohr sollte also, weil es langsam und weiblicher ist, den zweiten Rang einnehmen, einen besonderen Vorzug aber sollte das Auge haben; denn [23 M.] Gott erklärte dieses für den König der übrigen Sinne und setzte es über sie alle, und da er ihm gleichsam auf der Burg[1] seinen Sitz anwies, machte er es am meisten der Seele verwandt. 151 Beweisen kann man das aus der Tatsache, dass das Auge bei allen Wandlungen der Seele sich mitverändert; denn wenn Trauer bei ihr einkehrt, sind auch die Augen voll Sorge und Niedergeschlagenheit, bei ihrer Freude andererseits lächeln sie und blicken fröhlich; wenn Furcht die Seele beherrscht, sind sie voller Unruhe und nehmen unsichere und zuckende Bewegungen an; 152 wenn aber Zorn die Seele erfasst, rollt das Auge schneller und ist mit Blut unterlaufen; beim Nachdenken und Sorgen um etwas ist es ruhig und starr und so zu sagen mit dem Geiste angespannt, während es in der Erholung und beim Ausruhen der Seele sich ebenfalls ausruht und schlaff wird. 153 Einem nahenden Freunde kündigt es vorher das Gefühl des Wohlwollens an durch ruhigen und heiteren Blick; wenn es aber ein Feind ist, dann zeigt es die missvergnügte Stimmung der Seele; bei verwegenem Wesen springen und eilen die Augen voran, bei schüchternem dagegen bleiben sie ruhig und sanft. So kann man kurz sagen, dass das Auge mit höchster Kunstfertigkeit als ein Abbild der Seele geschaffen ist, dass es wie in einem Spiegel ein deutliches Bild von der Seele gibt, die von selbst ihrer Natur nach nicht sichtbar ist. 154 Allein nicht nur in dieser Hinsicht überragen die Augen an Schönheit alle übrigen Sinne, sondern auch insofern die Tätigkeit der anderen im Wachsein – denn die Untätigkeit im Schlafe darf man nicht in Betracht ziehen – mangelhaft ist; denn wenn nicht irgend etwas von der Aussenwelt sie in Bewegung setzt, bleiben sie in Ruhe, während die geöffneten

Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Abraham (De Abrahamo) übersetzt von Joseph Cohn. H. & M. Marcus, Breslau 1909, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloAbrGermanCohn.djvu/38&oldid=- (Version vom 11.5.2019)
  1. d. h. im Kopfe.