§. 36. Die Christen sind indessen auch nicht so unbescheiden und ungebildet, als die Welt vielleicht glaubt. Auch sie erweisen Achtung und Ehre; nur liegt der Unterschied, der zwischen ihnen und der Welt hierin Statt findet, sowohl in der Natur und Eigenschaft der Ehre, die sie erweisen, als auch in den Beweggründen, die sie dazu haben. Die Ehre der Welt bestehet in einer leeren Zeremonie ohne Kraft und Leben. Die Ehre der Christen hingegen ist etwas Wesentliches und Wahres; sie mag nun durch Gehorsam gegen Obere und Vorgesetzte, oder durch Liebe und Werthschätzung gegen ihres Gleichen, oder durch Hülfe und Unterstüzung gegen Geringere oder Untergebene an den Tag gelegt werden. Dann sind auch die Beweggründe zu den Ehrenerweisungen bei beiden Theilen sehr verschieden. Diejenigen der Welt sind schöne Kleider, prächtige Titel oder großes Vermögen; denn dieses sind die Gegenstände, welche die Kinder der Welt lieben und verehren. Die Beweggründe der Christen hingegen entspringen aus einem Gefühle der Pflichten, die sie in den Augen Gottes Andern zu erweisen schuldig sind; und zwar erstlich Eltern, Obrigkeiten und Vorgesetzten, dann Denen, die ihnen weniger nahe sind, und endlich allen Menschen, nach dem Maße ihrer Tugend, Weisheit und Gottseligkeit. Diese Ehre ist in der That sehr verschieden von der, welche die Menschen einander aus persönlichen Rücksichten erweisen, indem sie entweder die Personen Anderer aus eigennützigen Absichten verehren, oder zu so niedrigen Begriffen und Gefühlen von Menschenwürde herabgesunken sind, daß sie vor Reichthum oder prächtigen Kleidern sich beugen.
Wilhelm Penn: Ohne Kreuz keine Krone. Georg Uslar, Pyrmont 1826, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Penn_Ohne_Kreuz_keine_Krone.djvu/193&oldid=- (Version vom 1.8.2018)