Herodias, Tochter des Aristobulos, des Sohnes Herodes’ I. (aus der Ehe mit der ersten Mariamme) und der Berenike, der Tochter der Salome (Schwester Herodes’ I.) und des Kostobar. Darf man einmal der Reihenfolge in der genealogischen Aufzählung bei Josephus Glauben schenken, so wäre sie die ältere der beiden Töchter des Aristobulos gewesen (bell. Iud. I 552: auch ant. Iud. XVIII 136); Keims 46 Behauptung, sie sei die jüngere, ist jedenfalls nicht genügend begründet. Ihr Geburtsjahr läßt sich auf Grund der Dauer der Ehe ihrer Eltern nur ganz allgemein als zwischen 15 und 8 v. Chr. fallend angeben, da wir das Verhältnis ihrer Geburt zu dem ihrer Brüder nicht festlegen können (vgl. S. 207. Keims Ansatz der Geburt auf 14 v. Chr. oder der v. Gutschmids Kleine Schriften II 318 auf 9 v. Chr. berüchsichtigen diese Schwierigkeit nicht. Wegen ihrer Verlobung im J. 6 v. Chr. würde man die frühest möglichen Jahre vorziehen).
Es ist alsdann auch nicht mit Sicherheit zu entscheiden, ob sie oder ihre Schwester Mariamme von ihrem Großvater im J. 6 v. Chr. mit dessen Sohne Herodes verlobt oder ob sie für den Sohn des ältesten Herodessohnes, des Antipatros, und dann sogar für diesen selbst bestimmt worden ist (Joseph. bell. Iud. I 527. 565; ant. Iud. XVII 14. 18). Jedenfalls hat die erste Verlobung keinen Bestand gehabt; zugleich mit dem Sturz des Antipatros im J. 5 v. Chr. ist sie – wer auch der Verlobte war – gelöst worden (für alles Nähere s. S. 200f., wo auch Keims früher Ansatz der ersten Heirat der H. zurückgewiesen wird). Der eventuelle Verlobte der H., ihr Onkel Herodes, ist später ihr erster Gemahl geworden. Aus dieser Ehe ist eine Tochter Salome entsprossen (Joseph. ant. Iud. XVIII 136. Die Angabe der slavischen Überarbeitung von Josephus, bell. Iud. zu II 9 c. 1, aus der ersten Ehe seien sogar vier Kinder hervorgegangen, ist wohl reine Erfindung; den Text s. bei Berendts Die Zeugnisse vom Christent. im slav. ‚De bello Iudaico‘ d. Joseph. Text. u. Unters. z. Gesch. d. altchristl. Liter. N. F. XIV 4; s. hierzu S. 200). Die Geburt der Salome darf man allem Anschein nach kaum viel früher als etwa 14 n. Chr. ansetzen (das Nähere s. S. 190f.). Aus der Zeit der Geburt der Tochter auf die Zeit der Verheiratung der Mutter zu schließen, ist leider nicht möglich, da es sich um eine Spätgeburt gehandelt haben kann.
Nicht lange Zeit nach dieser Geburt ist dann der Bruch mit ihrem Gatten erfolgt (für die Chronologie s. S. 186ff. Hierzu sei noch bemerkt, daß die Verwertung des etwaigen Alters für die Zeit der Eheirrung der H., wie dies mitunter geschieht, kaum am Platze ist. Die femme de trente ans kann ebensowohl plötzliche Leidenschaften entfesseln wie eine jüngere). H., der Typus der ehrgeizigen [204] Frau, kann sich auf die Dauer an der Seite ihres gar nicht ehrgeizigen Gatten nicht befriedigt gefühlt haben, und dieses Gefühl des Unbefriedigtseins wird dann viel dazu beigetragen haben, sich so rasch ihrem bereits mit einer nabatäischen Prinzessin verheirateten Schwager und Onkel, dem Tetrarchen Herodes Antipas, in die Arme zu werfen und seine Werbung zu erhören, als er auf einer Romreise einen Abstecher in ihr Haus machte und sich dabei leidenschaftlich in sie verliebte. Es wurde zwischen ihnen die Trennung von den beiderseitigen Gatten für die Zeit der Rückkehr des Herodes Antipas verabredet. Die stolze H. war nämlich nicht gewillt, als zweite Frau neben der arabischen Königstochter in das Haus ihres zukünftigen Gemahls einzuziehen, sondern wollte ganz allein in diesem herrschen. Wie verabredet ist es auch gekommen (Joseph. ant. Iud. XVIII 109ff.; weiteres s. S. 186). Es ist jedoch verfehlt, mit Ewald Gesch. d. Volks Israel V³ 103 anzunehmen, daß zu diesem Doppelehebruch und der neuen gegen das jüdische Gesetz verstoßenden Ehe allein der Ehrgeiz die Prinzessin getrieben habe; daß H. ihren zweiten Mann auch wirklich geliebt hat, zeigt ihr Verhalten nach dessen Sturze (s. u.).
H. hat auf ihren zweiten Gemahl während des ganzen Verlaufs ihrer Ehe großen Einfluß auszuüben verstanden (Joseph. ant. Iud. XVIII 246), der sich wohl mit den Jahren gesteigert haben dürfte; denn die Ausgestalter der Salomeerzählung der Evangelien rechnen nicht mit einem den Tetrarchen auch in staatlichen Angelegenheiten völlig bestimmenden Einfluß seines Weibes, sondern lassen H. ihren Wunsch der Hinrichtung des Täufers nur durch List erreichen (s. Matth. XIV 3ff. Marc. VI 17ff. und über den Charakter der Salomeerzählung vgl. S. 190f.). Mag auch das einzelne, was die Evangelisten über den Anteil des H. an der Hinrichtung des Täufers erzählen, legendarischen, novellenartigen Charakter tragen, so dürfte doch der von ihnen bezeugte Haß der Herodias gegen Johannes, weil dieser in seinen Bußpredigten ihre neue Ehe aufs schärfste getadelt hatte, als historische Tatsache zu fassen sein, und sie kann daher auch sehr wohl zu der Vollstreckung des Todesurteils an dem Täufer viel beigetragen haben; beides würde zu dem Charakterbild der H. gut passen.
Um 30 n. Chr. hat H. noch die Freude gehabt, daß ihre junge Tochter Salome den bisher noch unvermählten Bruder ihres Gemahls, den Tetrarchen Philippos, geheiratet hat, eine Heirat, die man bei dem großen Altersunterschied der Ehegatten (wohl einige 30 Jahre) doch wohl als Ausfluß des politischen Ehrgeizes der Salome ansehen darf (s. Joseph. ant. Iud. XVIII 137 und
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 203–204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/122&oldid=- (Version vom 9.12.2016)