Art. Herodianoi in Pauly-Wissowas Real-encyklop. Suppl.-Heft II 201. Ob Luk. XIII 31f. wirklich, wie viele wollen [so auch noch Schürer I³ 442f.], für Herodes Antipas’ Stellung zu Jesus etwas ausgibt, ist sehr zweifelhaft, da selbst, wenn man den Vorgang als ganz historisch faßt, die Pharisäer ganz von sich aus mit der Feindschaft des Tetrarchen gedroht haben können).
Als Zeichen der religiösen Gleichgültigkeit des Tetrarchen ist auch seine zweite Ehe, die mit seiner Schwägerin und Nichte Herodias, zu werten, da diese allen Juden als blutschänderisch und somit als grobe Gesetzesverletzung gelten mußte.
Andererseits hat freilich Herodes Antipas durchaus nicht mit dem Judentum gebrochen, sondern den Zusammenhang mit ihm gerade nach außen betont. So dürfte wohl noch von ihm die besonders prächtige Synagoge in Tiberias herrühren (Joseph. vita 277). Zu großen jüdischen Festen in Jerusalem ist er wohl regelmäßig erschienen (Luk. XXIII 7ff.; Joseph. ant. Iud. XVIII 121; auch 241). Er mag auch einer der vier Söhne seines Vaters gewesen sein, die nach Philon leg. ad Gaium § 38 Gegenvorstellungen bei Pontius Pilatus gegen die Anbringung der den Juden anstößigen goldenen Schilde am königlichen Palast zu Jerusalem erhoben haben (s. S. 202), und schließlich hat er es ebensowenig wie sein Bruder Archelaos und im Gegensatz zu seinem Bruder Philippos gewagt, seine Münzen mit einem Bildnis zu versehen, dies trotz seiner völligen Ergebenheit gegen das kaiserliche Regiment. Einen Schritt vorwärts, der von den jüdischen Münzgewohnheiten abführte, scheint er erst ganz gegen Ende seiner Regierung getan zu haben: aus seinem letzten Regierungsjahr (39/40 n. Chr.) sind Münzen, die wenigstens den Namen des Kaisers Gaius tragen, erhalten (Madden a. a. O. 121f.); diese Änderung dürfte jedoch allein als Ausfluß seiner damaligen Politik, die Gaius auf alle Weise für sich und seine Wünsche zu gewinnen bestrebt war (s. im folgenden), aufzufassen sein.
Wir haben auch trotz seines Sturzes keinen Grund an der Aufrichtigkeit seiner steten willfährigen Treue gegen die römische Regierung zu zweifeln. Diese war für ihn in den späteren Jahren seiner Herrschaft um so notwendiger, als er damals des Schutzes Roms gegenüber einem äußeren Feinde, dem Nabatäerkönig Aretas IV., sehr bedurfte. Daß der Tetrarch sich diese gefährliche Feindschaft zugezogen hatte, daran war er ganz allein schuld; Familiengeschichte und Geschichte der äußeren Politik verknüpfen sich bei ihm verhängnisvoll miteinander. In der ersten Zeit seiner Regierung hat nämlich Herodes Antipas mit den arabischen Feinden seines Vaters durchaus freundschaftlich gestanden; hatte er doch eine Tochter des Araberkönigs geheiratet (Joseph. ant. Iud. XVIII 109. Clermont-Ganneau Rec. d'arch. orient. II 378 [s. auch Dalman Neue Petraforsch. 106f.] vermutet, daß diese Tochter Phasael geheißen habe, doch ist diese Vermutung recht unsicher; s. meinen Art. Huldu in Pauly-Wissowas Realencyklop. Bd. VIII 2553). Für den an das Nabatäergebiet grenzenden Tetrarchen, der nur über eine geringe Macht verfügte, mußte ja die Sicherung vor den Arabern [186] ein Hauptziel seiner äußeren Politik sein, und die Verschwägerung mag ihm als das einfachste Mittel dazu erschienen sein.
Man darf die Heirat und damit die Inaugurierung einer araberfreundlichen Politik wohl so ziemlich in den Beginn der Regierung des Herodes Antipas setzen; denn er soll bereits lange Zeit verheiratet gewesen sein (Joseph. ant. Iud. XVIII 109), als er zur Auflösung seiner Ehe und zu seiner zweiten Ehe mit seiner Schwägerin und Nichte Herodias, der Frau seines Bruders Herodes (s. S. 199ff.) schritt. Es erfaßte ihn zu dieser bei einem Besuche in deren Hause, den er aus Anlaß einer Romreise abstattete, eine so wilde Leidenschaft, die von ihr auch erwidert wurde (s. S. 204), daß er nicht nur alle Rücksicht auf seinen Bruder und auf das jüdische Gesetz vergaß, sondern sogar auch mit seiner bisherigen auswärtigen Politik brach. Herodias entschloß sich nämlich zwar auf sein Drängen, ihren bisherigen Gemahl zu verlassen und eine neue Ehe mit ihm einzugehen, aber nur unter der Bedingung, daß er seine bisherige Gemahlin verstoße; eine zweite Gemahlin wollte die stolze Frau bei ihrem Gatten nicht neben sich dulden. Nach der Rückkehr aus Rom ist die neue Ehe geschlossen worden. Die Araberin, die von den Abmachungen mit Herodias erfahren hatte, hat es aber zu der Schmach der Verstoßung nicht kommen lassen, sondern sie hat ihrerseits ihren Gatten heimlich verlassen und sich zu ihrem Vater begeben (Joseph. ant. Iud. XVIII 109–112). Sie ist hierbei von dem Kommandanten der jüdischen Grenzfeste Machairus und den nabatäischen στρατηγοί im arabischen Grenzgebiet unterstützt worden. (Die vielbehandelte Frage, wem damals Machairus gehört hat, ist durch die neue Lesung Nieses in § 112 erledigt, s. Schürer I³ 436, 20.) Man braucht sich nicht darüber zu wundern, daß die Fürstin dem jüdischen Kommandanten Weisung gegeben hat, alles für eine Wüstenreise Nötige vorzubereiten, und daß die nabatäischen Strategen ihrerseits die weiteren Vorbereitungen hierfür im voraus getroffen haben. Man darf eben diese Reise nicht als offene Flucht auffassen, sondern die Frau wird ihrem Manne gegenüber, um von ihm ohne Schwierigkeit loszukommen, einfach eine Reise in die Heimat zu ihrem Vater vorgeschützt haben und nicht eine an sich wenig wahrscheinliche Reise nach Machairus.
Die Zeit dieser Trennung und der zweiten Ehe ist nun sehr strittig; von Keim 45 wird sie z. B. erst in das J. 34 n. Chr. gesetzt, andere wie Brann 411ff. nehmen als terminus ante quem das J. 24 n. Chr. an und Grätz III 1⁵ 315, 2 denkt schließlich sogar an die ersten Jahre der Regierung des Tiberius. Keims Ansatz auf 34 n. Chr., der sich auf die Anordnung in der Darstellung des 18. Buches der antiquitates stützt, wobei er eine genaue Chronologie bei Josephus als selbstverständlich voraussetzt (ähnlich wie Keim [s. folgend.] argumentiert offenbar Wellhausen 347) wird schon dadurch hinfällig, daß eine solche im 18. Buche nicht vorliegt, da die scheinbaren zeitlichen Verknüpfungen verschiedener Ereignisse mit ‚κατὰ τοῦτον τὸν χρόνον, τότε, ἐν τούτῳ‘ nur Verlegenheitsphrasen des Josephus bedeuten (s. o. S. 180*). Es ist ferner gegenüber Keim
Walter Otto: Herodes. Beiträge zur Geschichte des letzten jüdischen Königshauses. Metzler, Stuttgart 1913, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Otto_Herodes.djvu/113&oldid=- (Version vom 11.6.2023)