Durch die bisher beschriebenen Gesetze werden die Zeiten der Fluthen regiert; die Grösse hängt von der Grösse des Meeres ab. Es bezeichne C den Mittelpunkt der Erde, EADB die ovale Gestalt des Meeres, CA die halbe grosse und CB die halbe kleine, auf die vorige perpendikuläre Axe dieses Ovals (dieser Ellipse). D sei ein zwischen A und B liegen, der Punkt, ECF oder eCf der Winkel am Mittelpunkte der Erde, welchen die Breite des, durch die Küsten E und F oder e und f begrenzten, Meeres unterspannt. Es liege A in der Mitte zwischen E und F, D in der Mitte zwischen e und f. Durch den Unterschied CA — CB drücke man die Grösse der Fluth in dem sehr tiefen Meere, welches die ganze Erde umgiebt, aus; alsdann wird der Unterschied CA — CE oder CA — CF die Grösse der Fluth in der Mitte des Meeres, welches durch die Küsten E und F begrenzt ist, ausdrücken. Eben so wird durch den Unterschied Ce — Cf die Grosse der Fluth an den Kästen desselben Meeres bezeichnet werden. Hieraus folgt, dass die Fluthen mitten im Meere viel kleiner sind, als an den Küsten, und dass die letzten Fluthen sich sehr nahe wie die Breite EF, welche nicht > 90° ist, verhalten. Hiernach sind in der Nähe des Aequators, wo das Meer zwischen Afrika und Amerika eng ist, die Fluthen viel kleiner, ab an beiden Seiten in den gemässigten Zonen, wo das Meer weit offen ist, und an den Amerikanischen und Chinesischen Küsten des Stillen Meeres, so wohl zwischen den Wendekreisen, als ausserhalb derselben.
Ferner folgt noch, dass an den mitten im Meere gelegenen Inseln die Fluth kaum über zwei oder 3 Fuss ansteigt, an den Küsten grosser Continente aber 3, 4 oder mehrmals so gross ist; besonders wenn die aus dem offenen Meere kommenden Bewegungen sich allmählig in einen engen Raum zusammenziehen und das Wasser gezwungen wird, zur wechselnden Anfüllung und Ausleerung von Meerbusen, mit grosser Gewalt über untiefe Stellen ein- und auszufliessen. Dies findet statt bei Plymouth und der Brücke von Chepstow in England, bei Mont St. Michel und Auranches in der Normandie, bei Camboja und Pegu in Ostindien. An diesen Orten, wo das Meer mit grosser Geschwindigkeit ankommt und zurückgeht, überschwemmt es bald die Küste, bald lässt es sie viele Meilen weit trocken. Die Gewalt, mit welcher es kommt und geht, kann nicht früher gebrochen werden, als bis das Wasser 40, 50 oder noch mehr Fuss hoch gehoben und herabgedrückt ist. So haben auch lange, untiefe Meerengen, welche sich gegen das Meer mit einer breiteren Mündung, als das übrige Bett, wie die Britische und Magellan-Strasse an ihrem östlichen Eingange,
Isaac Newton: Mathematische Principien der Naturlehre. Robert Oppenheim, Berlin 1872, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:NewtonPrincipien.djvu/552&oldid=- (Version vom 12.5.2018)