Zum Inhalt springen

Seite:Meyers Universum 8. Band 1841.djvu/180

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

wühlt das asow’sche Meer, wegen seiner geringen Tiefe, bis auf den Grund auf; es trübt sich das Wasser und wird gelb; das schwarze Meer aber thürmt seine Wogen zu Bergen, so hoch, daß sie in ihrem eigenen Schatten ganz schwarz erscheinen; – daher sein Name. Darum ist auch das Kreuzen der russischen Kriegsgeschwader auf beiden Meeren immer gefährlich und hat alljährlich eine Menge Verluste an Menschenleben und Schiffen zur Folge.

Ehe wir Taganrog verlassen, besuchen wir noch seine größte Merkwürdigkeit – das Haus, in welchem Kaiser Alexander starb. Es wurde von der Krone angekauft und wird wie ein Heiligthum gehütet. Es ist nicht größer, als das Haus Napoleon’s in St. Helena, und eben so klein ist das Zimmer, in welchem der mächtige Feind des Heros, fern von seinen Lieben, fern von seiner Hauptstadt, fast eben so verlassen als jener, gequält von Gewissensscrupeln, im fernen Winkel seines Reichs dahin schied. Im Todtenzimmer, vor dem Sterbebette des Kaisers, steht jetzt ein Altar; auf ihm brennen zwei Kerzen, und am Altare kniet ein Priester in immerwährendem Gebet. Es hat dieses Haus eine gar herrliche Aussicht. Aus seinen Fenstern sieht man das Meer vor sich ausgebreitet, und an beiden Seiten ziehen malerische Ufer hin. Die Schönheit der Natur verleiht der Betrachtung Schwingen und gießt einen überirdischen, seligen Schein über das Ganze. –

Alexander starb, so sagte man bei seinem plötzlichen Tode, vergiftet. In Taganrog glaubt so etwas Niemand. Jedermann kennt hier die schädlichen und lebensgefährlichen Folgen des unglaublich schnellen Temperaturwechsels, welcher in den glühend heißen Sommertagen oft 15 bis 20 Grade in wenigen Stunden beträgt. Die Umstände von Alexanders Tod kann in Taganrog jedes Kind erzählen. Der Kaiser hatte nämlich an einem Tage unerträglicher Schwüle eine Gondelfahrt auf dem asow’schen Meere gemacht und sich dabei sehr leicht gekleidet. Man rieth zur Mitnahme eines Mantels; er verschmähte es. Auf der See schlug der Wind um, und die Temperatur kühlte sich von afrikanischer Schwüle bis 8 Gr. R. ab. Obschon fühlbar erkältet, fuhr der Monarch doch noch in offener Troschke eine Strecke, und Fieberfrost schüttelte ihn schon, ehe er ein Obdach erreichte. Jährlich erleiden eine Menge Menschen aus gleicher Ursache eben so schnellen Tod. Daher hüten sich auch die Einwohner davor wie vor der Pest, und versehen sich auf allen ihren Ausflügen mit warmen Kleidern, die Luft mag noch so schwül seyn.



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1841, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_8._Band_1841.djvu/180&oldid=- (Version vom 8.12.2024)