Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band | |
|
Ruhestörungen geschlossen werden; ein probates Mittel, um Revolutionsversuche inmitten großer Bevölkerungen zu isoliren und sodann leicht zu ersticken. In der Nähe der kaiserl. Residenz sind überdieß die Straßen nicht blos an Ausgängen, sondern selbst in der Mitte mit sogenannten Triumphpforten versehen, Thore mit eisernen Flügeln, rechts und links mit kasernenartigen Gebäuden, die im Fall eines Aufstandes leicht vertheidigt werden können. Man nennt sie Siegespforten, um das Volk über ihre Zwecke zu täuschen. – Ungeheure Magazine für Reis, Getreide und für Kriegsvorräthe aller Art, und hinlänglich, um die ganze Bevölkerung der Tartarenstadt von Kopf bis zum Fuß zu bewaffnen und auf lange Zeit zu ernähren, nehmen mit ihren unabsehlichen Fronten mehre Straßen ein. Die Tempel sind zahlreich; viele von imposanter Größe.
Fast im Mittelpunkt der Tartarenstadt befindet sich die kaiserl. Residenz, die man eine dritte Stadt aus Palästen mit Gartenanlagen nennen kann. Sie ist durch einen freien Platz und eine hohe, gelblackirte Mauer von großer Stärke aus aller Verbindung mit den übrigen Stadttheilen gesetzt, und innerhalb dieser Mauer darf sich außer den zum kaiserlichen Hause gehörigen, oder sonst privilegirten Personen bei Todesstrafe Niemand betreten lassen. Der Raum, den die kaiserl. Residenz einnimmt, ist ein regelmäßiges, längliches Viereck von mindestens 2 Stunden in Umfang. Im Mittelpunkte desselben stehen die Privatpaläste des Kaisers und der Kaiserin. Eine innerste Mauer, durch die eine eiserne, schön vergoldete Pforte führt, umgibt sie. Diese Mauer heißt die heilige, die ganz verbotene. Ihr Inneres ist nur für die innerhalb des Raumes geborene und erzogene Privatdienerschaft des Kaiserpaares zugänglich; selbst die höchsten Staatsbeamten dürfen es nicht wagen, den Kaiser in seiner eigentlichen Wohnung aufzusuchen. – Die ganze Anlage der Residenz ist übrigens ein Labyrinth von Palästen, Gärten, Triumphpforten, Tempeln, Höfen, Bächen, Seeen, Gehölzen, Felsen, Thälern, Meiereien, Wasserfällen, Springbrunnen, Grotten, daß die Sinne verwirrt. Obschon ihr Einheit des Plans und symmetrische Anordnung gänzlich abgeht, so ist sie doch des Beherrschers des größten Reichs der Erde, und über ein Dritttheil des Menschengeschlechts nicht unwürdig. Da die untergeordneten Gebäude für die Hofbeamten, die Magazine etc. durch Zwischenmauern und Baumgruppen dem Auge des Beschauers entzogen werden, so treten um so herrlicher, zauberischer die Kaiserpaläste selbst hervor, welche die Gipfel künstlich aufgetragener Hügel krönen, oder auf den Eilanden der Seen liegen, an deren grünenden Ufern Heerden von Büffeln weiden, und auf deren Wellen Schwärme von Schwänen und dem seltensten Geflügel sorglos rudern. Man sieht wenig Menschen im Innern der Residenz. Die Leibwachen, etwa 2000, lauter Tartaren, sind größtentheils in den innern Räumen versteckt und die Hofbeamten und Diener leben, außer an Galla- oder Diensttagen, in ihren Privatwohnungen. Die ganze Residenz-Bevölkerung besteht aus 11–12,000 Köpfen, und diese verliert sich in dem großen Raume.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/142&oldid=- (Version vom 6.11.2024)