Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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schwarze Meer mit dem baltischen, und vermitteln den leichtesten Austausch des Produktenreichthums jener weiten Länderstrecken, welche sie trennen; während die Wolga, durch eine ihrer gewaltigen Krümmungen dem Don sich nähernd, dem menschlichen Unternehmungsgeiste einen unverkennbaren Fingerzeig gibt, wo Asien’s Binnenmeer, der kaspische See, mit dem Pontus Euxinus, der Ostsee, und durch den Bosporus und Hellespont, den Thoren zu den südeuropäischen und afrikanischen Märkten, mit den mittelländischen und atlantischen Oceanen zusammen zu knüpfen sey.
Odessa, die neue, glänzende Hauptstadt jener Erwerbungen Rußland’s, ist ein großes Beispiel von Dem, was ein richtiges Auffassen günstiger Verhältnisse und beharrlicher, thatkräftiger Wille, sie auszubeuten, in kurzer Zeit wirken kann. Im Jahre 1789 war’s, als der russische Admiral Ribas die Türken von der Küste vertrieb. Sie war öde, menschenleer. Ein kleines, altes Fort, das an der Stelle des heutigen Odessa stand, hatte keinen andern Zweck als den, die Seeräuber in Zaum zu halten, welche an den benachbarten Gestaden ihr Wesen trieben. Ribas, der von seinem Gouvernement den Auftrag hatte, sich nach einer schicklichen Stelle zur Gründung eines Ausfuhrhafens für Südrußland umzuschauen, schlug den Platz vor, wo das griechiche Ordessus gestanden; die Kaiserin Katharina billigte mit gewohntem Scharfblick seine Gründung, und stattete ihn mit den Mitteln zur Ausführung freigebig aus. Im Frühling 1793 wurden die ersten Bauten begonnen. Zu Ende des Jahres standen einige 60 Häuser, ein Leuchtthurm, ein Bazar und Magazine, und der alte Hafen war größtentheils gereinigt. Dieß der Anfang der jetzt so herrlichen Stadt! – Sechs Jahre später zählte Odessa schon 4200 Einwohner in 500 steinernen Häusern, mit 7 Kirchen und Kapellen für die verschiedenen Kulten des einzigen Gottes. Bereits war es zum Stapelplatz südrussischer Produkte geworden, und 200 Fahrzeuge führten von da Getreide nach Constantinopel. Alexander hatte nicht sobald den Thron bestiegen, als er die große Entwickelung der Provinzen am schwarzen Meere auf alle Weise zu beschleunigen suchte. Besondere Aufmerksamkeit richtete er auf Odessa, und im Herzoge von Richelieu fand er einen Gehülfen, seinen Willen zur That zu machen. Dieser, welcher, als Generalgouverneur von Neurußland, im Jahre 1803 in Odessa seinen Wohnsitz nahm, vereinigte mit einer für das Edle und Gute erglühenden Seele alle Eigenschaften in sich, welche im Gebiete der Coloniegründung den großen Menschen bezeichnen.
Dieser Mann, voll Begeisterung für seinen Beruf, Wüsteneien in bebaute Gegenden zu verwandeln, und Ländereien, welche nie die Pflugschar gefühlt hatten, zu bevölkern, und sie zu Mittelpunkten der Kultur und Gesittung zu erheben, hat seine Aufgabe mit einer Umsicht und Beharrlichkeit durchgeführt, welche ihm die Bewunderung aller Zeiten sichert. Freundlich, ohne seiner Wurde zu vergeben, einfach und ökonomisch in seinen eigenen Ausgaben, kannte seine Freigebigkeit und seine Wohlthätigkeit keine Grenzen. In allem Rechten und Guten, in der Ueberwindung von Schwierigkeiten war er stets selbst das beste Beispiel für alle Uebrigen. Er machte die Provinz, deren Verwaltung ihm mit unumschränkter Vollmacht anvertraut war, zum Zufluchtsort für Alle, welche
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/122&oldid=- (Version vom 26.9.2024)