Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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Madrid gewährt von jeder Seite her eine imponirende Fernsicht. Die spanische Hauptstadt liegt sehr hoch (2200 Fuß über die Meeresfläche), auf einem unebnen, steilen Plateau, eine Art Campagna, die, rauhen Klimas und allen Winden ausgesetzt, fast baumlos, überall einen freien Blick auf die große, compakte Häusermasse zuläßt. Zahlreiche Thürme und Kuppeln, hohe Kirchen und Palläste überragen diese, und erwecken in weiter Entfernung schon die Vorstellung von der Pracht und dem Reichthum der Metropole eines großen Reichs. Je näher man kömmt, je mehr streckt die Häusermasse sich aus, je mehr nimmt die Vorstellung ihrer Größe zu; aber um so störender fällt dann auch der Contrast des Oeden, des Eintönigen und Unmalerischen der Gegend auf. Rechts und links vom Wege sieht das Auge, so weit es reicht, nur dürftige Weizenfelder, – keine lachenden Landsitze, keine aus Orangenhainen schimmernden Quinta’s, die gewöhnlichen und so aufheiternden Zeugen von dem Wohlstande und der Sinnigkeit der Bevölkerung der großen Städte des Südens. Nicht einmal in der unmittelbaren Nähe der Residenz gewahrt man etwas von jenen zahllosen, kleinen, freundlichen Wohnungen mit Gärten, welche während der schönen Jahreszeit[WS 1] einen immer blühenden und duftenden Gürtel um die europäischen Hauptstädte bilden, und die dürren Weizenfelder verlassen den Reisenden kaum eher, als bis er Madrid selbst betritt. Auch nicht früher sieht man etwas von der Hauptstadt Bevölkerung. Ein paar hundert Schritte EXTRA MUROS ist’s schon so stille und einsam, daß man sich mitten in der Sierra, hundert Meilen von dem Orte denken könnte, in dem 160,000 Menschen wohnen, und welcher der Centralpunkt für die Macht und den Glanz des Reichs, und der gewöhnliche Aufenthalt des Hofes ist.
Madrid, modernen Ursprungs, hat gegen 8000 Häuser, die in ein unregelmäßiges Viereck von vierstündigem Umfang zusammengebaut sind. Vor Karl V. Zeit war es eine kleine Landstadt; die Laune dieses Monarchen erhob sie, um ihrer Lage im Mittelpunkt des Reichs willen, zur Hauptstadt, und unter seiner und seines Sohnes Philipp II. Regierung erreichte sie schnell ihre jetzige Größe. Darum gehören die meisten Gebäude jener Zeit an, und tragen ihr Gepräge: Schwerfälligkeit und Dauer. Die alte königliche Residenz brannte 1733 ab, und wurde seitdem in neuitalienischem Style wieder aufgebaut. Sie ist ein nobles Viereck, 500 Fuß lang auf jeder Seite, und macht, frei auf einer Anhöhe stehend, eine große Wirkung. Ihr gegenüber ist das Sommerschloß BUEN RETIRO, mit verfallenen Gartenanlagen. Ein aus großen Alleen bestehender, reich mit Springbrunnen gezierter Spaziergang – der Prado – macht den Lieblingsort der Madrider aus, und ist für sie das, was der Prater für Wien, oder der Regents- und Hydepark für London ist. Hier versammelt sich an heitern Tagen die Madrider Welt, ohne Unterschied der Stände, zum Genuß der freien Luft, und um zu sehen, oder sich sehen zu lassen. Nahe dabei ist das Amphitheater zu den Stiergefechten. – Entfernter prangen die königlichen Lustschlösser Pardo und Casa del’ Campo, mit schönen Gartenanlagen. – Madrid hat eine Universität, seit 1770 gegründet, und trotz sehr mangelhafter
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Jaherszeit
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/96&oldid=- (Version vom 2.8.2024)