Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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Raçen vereinigten ihr Wirken mit dem der vollkommensten Despotie: Verödung, Trümmer und Elend überzogen allmählich das ganze, weite, unglückliche Reich. –
Und so sehen wir jetzt die türkische Alleinherrschaft, gegründet auf die Ruinen des Reichs der Assyrer, Aegypter, der Königreiche Judäa, Syrien, Bithynien, des Pontus und Armeniens; mit den Füßen tretend den Staub der Herrlichkeit der Semiramis und der Kleopatra, der Seleuciden, des Mithridates und so vieler anderer großer Könige, dastehen, eben so verachtet als gehaßt, eben so morsch als kraftlos, gelöst aus allen Fugen, im Begriff zusammenzustürzen durch die Macht empörter Sklaven, durch die Wirkung innerer Kriege und durch die Zerrüttung der Finanzen und aller organischen Theile der Verwaltung; – sichere Beute des mächtigsten seiner Nachbarn, und nur noch durch die Eifersucht anderer Reiche ein unbeneidetes, segenloses Daseyn fristend. Die mißhandelte Menschheit von Asiens Westen, die Urmutter der abendländischen Stämme: sie sehen wir ausstrecken die flehenden Hände nach Europa und die Enkel bitten um Erlösung aus dem Elendsabgrund und um die Gabe des Friedens und der Civilisation. Welch ein Scenenwechsel in der Weltgeschichte schauerlichem Drama! –
Wird Europa sein Ohr verschließen dem Hülferuf der Mutter, und gleichgültiger Zuschauer bleiben bei dem jetzigen und künftigen Loose dieser schönen Länder und ihrer Völker? Soll es ihr Schicksal dem Zufall überlassen? Liegt es nicht vielmehr (da die Geschichte uns belehrt, daß undankbare Danaidenarbeit es immer gewesen, wenn man es unternahm, einstürzende Reiche gewaltsam aufrecht zu halten,) im Interesse der Menschlichkeit wie der Politik, daß Europa mit ruhiger Ueberlegung gemeinschaftliche und zeitige Maßregeln beschließe, um zu verhindern, daß die christlichen Völker bei’m Einsturz des Reichs mitbegraben werden, oder die lauernde, schlaue Habsucht das Gleichgewicht in dem europäischen Staatenverein gänzlich zerstöre, das, für Völker und Fürsten gleich beunruhigend, des Nordens Koloß schon so lange bedroht!
Noch deckt die Zeit mit undurchdringlichem Schleier das künftige Loos jener schönen Länder; aber Manches, was vor unsern Augen vorgeht, weckt den großen Gedanken, daß es allerdings der Zukunft beschieden seyn möge, die Völker beider Welttheile, Europa’s und Asiens, durch die Bande der Civilisation, durch die Verschmelzung ihrer geistigen und materiellen Interessen, zu einer Familie zu verknüpfen. Seit 15 Jahren wirkt England standhaft und mit ungeheuerm Erfolge in diesem Geiste. Vom Delta des Ganges drang binnen so kurzer Zeit europäische Bildung bis zu den Quellen des Indus, bis zu der Mündung des Irawaddi, und über die Eisrücken des Himalaja hin bis in die Hochebnen Thübets. Wohin wir in Asien die Blicke wenden, in die Hauptstädte des „himmlischen Reichs,“ in die Alpen Cabuls, oder in die Steppen der Mongolen, nach Birmah oder nach Persien, überall sehen wir Gesandtschaften
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/83&oldid=- (Version vom 31.7.2024)