Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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Die römische Welt des Ostens mußte sich verändern, und sie veränderte sich. Nachdem alle erdenklichen Laster die Nationen des blühenden Asiens entnervt hatten, fiel es den herumschweifenden und armen Völkern der angrenzenden Wüsten und Gebirge ein, den Genuß der verweichlichten Bewohner der fruchtbaren Ebenen und herrlichen Städte zu beneiden. Gleich stark von dem Eifer entflammt, die Lehre ihres Propheten auszubreiten, als von der Raublust getrieben, fielen die Araber, denen die Turkomannen folgten, über jene Länder her, stürzten die entarteten Fürsten vom Throne, ihre entmannten Christenvölker in die Sklaverei. So bildete sich das arabisch-türkische Reich aus zwei durchaus entgegengesetzten und feindseligen Elementen. Denn da die fremden Eroberer alle vorgefundenen Einrichtungen der Gesellschaft von Grund aus zerstört und bis in ihre Prinzipien vernichtet hatten; da sie sich, auf das Recht des Stärkern gestützt, als alleinige Eigenthümer von Leib und Leben und eines jeglichen Besitzes der Ueberwundenen verkündigten: so hörte alles gemeinschaftliche Interesse zwischen diesen und jenen auf. An die Stelle der früheren Abstufungsgrade in der bürgerlichen Geltung trat der einzige der Kaste und Abstammung. Je nachdem man als Türke oder Nichttürke, als Muselmann oder Christ geboren war, war man als Herr oder Sklav, als Eigenthum oder Eigenthümer geboren.
Die Unterdrücker waren der Zahl nach gegen die Unterdrückten unermeßlich klein – kaum wie 1 zu 100: ein in seinen Folgen wichtiger Umstand! Denn es lag nun bei der herrschenden Kaste im Interesse der Selbsterhaltung und der eigenen Sicherheit, auf Mittel zu denken, die beraubte und unterjochte Mehrzahl physisch und moralisch mehr und mehr zu schwächen. Die Klugheit rieth es, und dieß brachte die Kunst der Unterdrückung bald zur höchsten Ausbildung. Viele Jahrhunderte lang bestand die Regierungsweisheit der Türken lediglich darin, die ungeheuere Majorität in strenger Unterwürfigkeit gegen die Minderzahl zu erhalten. Um einen der natürlichen Ordnung so zuwiderlaufenden Gehorsam zu ermöglichen, wurden die härtesten Strafgesetze erfunden. Deren Grausamkeit machte die Sitten barbarisch, und da der Unterschied der Kasten, zwischen Herren und Sklaven, zu zweierlei Gerechtigkeit, zweierlei Recht im Staate nöthigte, so fanden die Begriffe von Recht und Unrecht keine Basis mehr, weder im Herzen noch im Verstande, sie gingen unter.
Ursachen und Wirkungen stehen immer in Wechselbeziehung zu einander; so auch hier. Verzweiflung und Muthlosigkeit überfiel die beknechteten Völker. Ihr Leben war in ihren Augen nur noch eine mühselige Bürde, eine freudlose, schmerzhafte Pilgerschaft; die Erde ein Ort der Verweisung, des Anbaus nicht mehr werth. Die Felder wurden allmählich verlassen, die Aecker lagen brach. Alle moralischen Beweggründe zur Fortpflanzung hörten auf; ganze Provinzen entvölkerten sich, die herrlichsten Städte wurden menschenleer, und die kostbarsten Monumente, ohne Theilnahme und darum vernachlässigt, verfielen. Unwissenheit, Aberglaube und Fanatismus der verwilderten
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/82&oldid=- (Version vom 31.7.2024)