Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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zwischen dem Reiche des Heitern und der Schwermuth. Höhere Berge drängen den Strom enger zusammen, und immer dunkler spielen die Wellen im tiefen Schatten der Wände. Reben bedecken jedes sonnige Plätzchen, alles übrige ist hoher, dichter Wald; nur zuweilen drängen sich schroffe, einzelne Felsspitzen an das Licht des Tages, selten kahl, meistens mit malerischen Ruinen verfallener Burgen oder Kapellen gekrönt. Tiefe Stille herrscht, und man könnte sich eben so gut auf einem Meerarm des schottischen Hochlandes, oder an Norwegens Felsenküsten denken. Einige hie und da zerstreute Fischerhütten ausgenommen, erspähet das Auge auf weite Strecken hin keine menschliche Wohnung; uralte Volkssagen und Aberglauben bevölkern jede Kluft mit Ungeheuern, und jede Höhle mit Kobolden und Geistern. – Erst an St. Goar und Goarshausen vorbei schifft man in eine freundlichere, offnere Gegend. Wiesen und Gärtchen finden Raum an den Ufern, sich auszubreiten; weiter werden die Bogen, die der Strom um die Berge beschreibt, und die Felsen treten zurück und erheben ihre Häupter tiefer aus dem Forste.
Da wo der Rhein der Stadt Boppart zueilt, eine Viertelstunde von derselben entfernt, finden wir die Stelle, die unser köstliches Bild bezeichnet. Auf von ihrem untersten Fuße bis zu den äußersten Spitzen mit Reben dicht bewachsenen, hohen Felsenpyramiden stehen die Ruinen zweier Burgen, „Liebenstein und Sternfels“ – bekannter unter dem Namen „die Brüder.“
Eine schauerliche Sage knüpft sich an diese malerischen Trümmer.
Auf Liebenstein hauste im zwölften Jahrhundert ein reicher Ritter. Zwei Söhne und ein Mädchen, eine an Kindesstatt angenommene Waise, waren die Freude seiner alten Tage. Die Waise blühete auf zur schönen Jungfrau, und die beiden Brüder liebten sie mit gleicher Gluth: – lange heimlich, bis endlich der Vater es merkte. Dieser drang in die Pflegetochter, einen zu wählen. Aber sie wollte keinen betrüben. Als der ältere ihre Unentschlossenheit sah, überwand sein Edelmuth die Leidenschaft. Er schwur Verzicht seiner Liebe und warb mit Glück für den Bruder. Doch hin war der Friede seines Herzens! Darum verließ er die väterliche Burg und ging an den Hof des Pfalzgrafen, dort bei Turnier und Kampfspiel Vergessenheit seiner Leiden zu suchen.
Nun geschah es, daß der heilige Bernhard die Rheinlande durchzog und einen Kreuzzug predigte nach Palästina. Seine feurige Beredtsamkeit machte, wohin er kam, die Schlösser und Burgen an Rittern und Reisigen leer: – schaarenweise strömten sie herbei, überall wehete das Kreuz. Auch der Bräutigam der schönen Elise gelobte den ritterlichen Zug, ehe er die Maid zum Altar führe. Weder die Thränen dieser, noch die Bitten des Bruders und des alten Vaters, vermochten etwas über den Entschlossenen. Er brachte das Fähnlein seiner Knechte zum Kaiser Konrad, der in Frankfurt das Kreuzfahrerheer sammelte, und zog mit ihm von dannen. –
Voll Hoffnung der Wiederkehr baute der alte Ritter auf dem benachbarten Felsen eine stattliche Burg und taufte sie Sternfels. Sie sollte die Wohnung des jungen Paares seyn, während sein Erstgeborner das Stammschloß erbe. – Noch vor der Vollendung des Baues starb der Ritter, und der älteste Sohn kehrte auf die väterliche Burg
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/119&oldid=- (Version vom 4.8.2024)