Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band | |
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hervordrängt, um bei Schields, dem Hafen der Stadt, sich in das Nordmeer zu ergießen. Mit der Vorstadt Gateshead auf dem rechten Tyne-Ufer (zur Grafschaft Durham gehörend) zählt New-Castle über 50,000 Einwohner. Seit 30 Jahren hat sich die Volksmenge der Stadt verdoppelt; der triftigste Beweis ihres großen Gedeihens. Die Ansicht New-Castle’s ist, vom Ufer jenseits gesehen, äußerst reizend. Der großen und schönen Steinbrücke gegenüber tritt der neue Gerichtshof mit seinem Säulenporticus hervor, und seitwärts derselben besäumen den Strand, einen Mastenwald überschauend, stattliche Gebäude. Die amphitheatralisch sich erhebenden Häuserreihen an der Berglehne krönt malerisch die alte Burg (THE CASTLE) mit ehrwürdigen Trümmern. Ein großer, fester Thurm derselben hat von der Römerzeit her sein Entstehen. Römische Alterthümer finden sich mehre in der Gegend, einige selbst im Innern der Stadt. Auf dem belebten, majestätischen Flusse gleiten zahlreiche Kohlen- und Lichterschiffe mit ihren schwarzen Segeln unablässig dahin. Wohin man auch blicke, überall herrscht hier Fleiß und Thätigkeit. Auffallend häufig begegnet man rußigen Männern, ein wahrer Riesenschlag, geschickt zum Gewältigen der größten Lasten, wie zur härtesten Arbeit. Es sind die KEELMEN, die Führer der Kohlenbarken, von denen jeder mit 30 Fuß langen, breiten Rudern ein Fahrzeug mit 400 Centner Steinkohlen bewegt. Steinkohlen, das Produkt der unerschöpflichen Gruben an den beiden Tyne-Ufern, sind der Haupthebel eines unermeßlichen Handels, den New-Castle durch seine Häfen mit London, der ganzen Ostküste Britanniens und dem europäischen Festlande treibt. Aus North- und South-Schields führt es jährlich über 48 Millionen Centner Steinkohlen aus; 35 Millionen blos nach London! Der zweite, große Geschäftszweig ist die Ausfuhr des dem ganzen Erdenrund zum Bedürfniß gewordenen Produkts der in New-Castle’s Nachbarschaft wohnenden Töpfer, des englischen Steinguts. Es versendet jährlich für 9 Millionen Gulden. Wichtig ist auch noch für New-Castle’s Handel die zahllose Menge der Glashütten, Seifensiedereien-, Pech-, Theer-, Bleiweiß-, Vitriol- und Farbefabriken u. s. w. in seiner Umgebung. Die Zahl der auf der Tyne fahrenden Kohlenschiffe wird auf 3000, der durch New-Castle’s Ausfuhr beschäftigten Kohlen- und Grubenarbeiter auf 40,000, die Bevölkerung des Töpferdistrikts aber auf 60,000 geschätzt. Seeschiffe von 300 Tonnen können bis zur Brücke fahren, größere müssen ihre Ladungen in North- und South-Schields in Empfang nehmen. New-Castle zählt über 800 eigene Seeschiffe; aber jährlich versegeln aus der Tyne über 10,000! Nur England stellt solche Beispiele einer fast fabelhaft scheinenden Handelsthätigkeit auf!
So schön sich New-Castle von außen dem Blick darbietet, so getäuscht findet sich Der, der es betritt. Die gesammte untere Stadt ist eng und schmutzig, eine wahre Matrosen- und Kohlenschifferwohnung; steile Gassen, oft mit Treppen versehen, verbinden diesen Stadttheil mit dem oberen. Dieser ist freundlicher und einige Straßen sind selbst prachtvoll. Bildungs- und Wohlthätigkeits-Anstalten fehlen der Stadt nicht. Großartig ist die für kranke Kohlenschiffer, das KEELMEN’S HOSPITAL. 500 Leidende finden in derselben musterhafte Verpflegung.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1835, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_2._Band_6._Auflage_1835.djvu/35&oldid=- (Version vom 15.6.2024)