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Seite:Meyers Universum 2. Band 6. Auflage 1835.djvu/144

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Ziele, seufzte ein Anderer! kein schöneres Plätzchen zu einem Kloster gibt’s auf der ganzen Erde, bemerkte ein Dritter; beifällig winkten alle übrigen. Sie ruhten und ruhten lange, und keiner mochte zuerst aufbrechen; da warf die scheidende Sonne röthliche Strahlen auf das enge Haus des Heiligen. Auf sprangen die Männer, sie faßten die Henkel des Sargs: aber o Wunder! er wich nicht von der Stelle. Vergebens strengten sie alle Kräfte an; – er stand wie eingewurzelt. – Cutbert’s Versprechen ist erfüllt, riefen Alle. Freudig verkündigten die Mönche das Geschehene, und herbei strömte die fromme Einfalt in großen Schaaren, die Reichen mit Geschmeide und Geld, die Landleute mit Schaufeln und Wagen, Handwerker mit Werkzeug, Arme mit arbeitseifrigen Armen, bauen zu helfen das neue Haus des Heiligen an der gewählten und durch die Wahl geweiheten Stätte. Ritter und Fürsten schenkten Wald und Gründe, meilengroß, rund umher, und, ehe 3 Jahre verflossen, erhob sich mitten in der Wildniß das prächtigste Gotteshaus und die reichste Abtei von ganz Nord-England. Ueber den Sarg aber, der unberührt auf seiner Stelle blieb, ward ein Altar gebaut von köstlichem Marmor, der Hochaltar des neuen Doms.

Zwei hundert Jahre später schlug der Blitz in den Thurm, und die Kirche brannte nieder. Auch dieß zweite Mal bestand nicht blos der Heilige die Feuerprobe, und ging unversehrt aus Schutt und Asche hervor; auch bei der feierlichen Wiederöffnung des Sarges vor einer zahllosen knieenden Menge fand sich der Körper[WS 1] unversehrt und die Augen blinzten freundlich, als hätten sie Leben.[1] Die Frömmigkeit verdoppelte ihre Opfergaben und selbst aus den entferntesten Ländern, die der Wunder-Ruhm des Heiligen erfüllte, strömten reiche Geschenke herbei zum Wiederaufbau eines Gottes- und Mönchshauses in niegesehener Pracht. Vierzig Jahre wurde gebaut, noch andere hundert Jahre wurden auf des Tempels Verzierung im Innern und Aeußern verwendet. Dennoch ist er nie vollendet worden. Die Dämmerungszeit der Reformation nahete; der Eifer für solche fromme Werke erkaltete. – Wären die Thürme, die nur zur Hälfte ihrer beabsichtigten Höhe aufgeführt sind, ausgebaut, so würde diese Kirche das prächtigste Gebäude seiner Art seyn. Aber auch in seinem unvollendeten Zustande gewährt es, bei der Harmonie seiner Theile und der Reinheit seines Styls, einen grandiosen Anblick, den die schöne, erhabene Lage des Gottestempels noch verherrlicht.


  1. Vor einigen Jahren (1827) bei Gelegenheit einer Ausbesserung im Innern der Kirche, wurde der Sarg Cutbert’s, der nämliche, der die Wanderung vor 800 Jahren auf den Schultern der Mönche gemacht, dem Marmorschrein enthoben und im Beiseyn von geistlichen und weltlichen Behörden geöffnet. Die irdischen Reste des Heiligen waren wie die anderer Menschen; ein Häufchen Staub, Gebein und Asche: aber neben dem Schädel lagen die Reste einer Larve, und o Wunder! zwei gemalte Augen von einer glasartigen Masse – sahen aus den bleichen Höhlen so freundlich, wie vor 800 Jahren, auf die jetzt freilich weniger gläubigen Umstehenden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Köper